Die Bahn wieder lieben lernen
Von Ralf Wurzbacher
Eine »Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene« nennt Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) seine »Bahnstrategie«, deren Eckpunkte er zu Wochenanfang präsentiert hat. Beim Bündnis »Bahn für alle« begrüßt man die Pläne in Teilen, ist aber weit davon entfernt, begeistert zu sein. Da gibt es besseren Lesestoff. »Eine Zukunftsbahn für alle« lautet der Titel eines am Wochenende vorgelegten Konzepts, mit dem der Verband ein umfassendes Bild davon zeichnet, wie die Bahn im Interesse von Fahrgästen, Beschäftigten und der Umwelt unterwegs sein könnte und müsste. In einer begleitenden Medienmitteilung äußerte Verbandssprecher Carl Waßmuth: »In der Schweiz liebt man die Bahn« und zeige mit den Rezepten, »dass auch bei uns eine Bahn möglich ist, die man liebt und die zukunftsfähig ist«.
Voraussetzung dafür wäre die Bereitschaft der politisch und unternehmerisch Verantwortlichen zur Umkehr, das Eingeständnis, dass mit der formellen Privatisierung im Zuge der sogenannten Bahnreform von 1994 der Verfall der Schieneninfrastruktur losgetreten und der Allgemeinheit riesiger Schaden zugefügt wurde. Die Antwort darauf könne nur sein, die Bahn qua Satzung gemeinnützig zu machen, eine Forderung, die laut einer Umfrage von »Bahn für alle« 70 Prozent der Bürger im Land teilen. Das heißt: Abschied von Gewinnstreben und Rationalisierung, wohingegen »die Mobilität von Menschen und der Transport von Gütern auf der Schiene (…) im Mittelpunkt des strategischen Handelns der DB stehen« sollten.
Die Aktivisten machen dazu 70 konkrete Vorschläge, untergliedert in vier Themenbereiche: politische Steuerung, Konzernumbau, Infrastruktur und Verkehrsangebote. Zielvorgaben müssten demnach sein, die Instrumente Deutschlandtakt und Infraplan, in denen die Anforderungen der Bundesregierung in puncto Infrastrukturentwicklung festgeschrieben sind, »zu konkretisieren, zu beschleunigen und von kontraproduktiven Bestandteilen wie unnötigen Tunnelbauten und Großprojekten (»Stuttgart 21«) zu befreien«. Die vom Bundesverkehrsministerium kommunizierte Umsetzung bis 2070 liege »absurd weit« in der Ferne, eine erste Stufe des integralen Taktverkehrs könne »bereits ab 2035« gestartet werden. Alle neuen Baumaßnahmen zum Beispiel an Bahnhöfen und Strecken seien so auszuführen, dass sie dessen Erfordernissen genügten.
Im Gegenzug zu einer »auskömmlichen und verlässlichen« Finanzierung der Bahn sollte die Subventionierung schädlicher Verkehre (Auto, Luftfahrt) beendet und etwa durch Erhebung einer Kerosinsteuer verteuert werden. Die Trassenentgelte (Schienenmaut) als ein wesentlicher Preistreiber im Personen- und Güterverkehr gehörten gesetzlich festgelegt, heißt es im Konzeptpapier. Ferner müssten die DB-Schulden durch zinsgünstige Bundesschulden ersetzt werden, weil auch diese Verbindlichkeiten die Konzernspitze zu hohen Preisen und Leistungskürzungen verleiten. Das Ziel der Verdoppelung der Anteile des Bahnverkehrs am Gesamtverkehr müsse flankiert werden mit einem Fernverkehrsgesetz, einer gesetzlichen Mobilitätsgarantie nach Schweizer Vorbild und Festlegungen zum Erhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur.
Die Zerstückelung des Staatskonzerns in mehr als 100 Tochterfirmen sei zu überwinden, die Auslandsgeschäfte müssten aufgegeben und das Management verschlankt werden, schreibt »Bahn für alle«. Vorstandsgehälter hätten sich an der Besoldung von Richtern zu orientieren, Saläre und Boni in Millionenhöhe seien für einen staatlichen Betrieb »gemeinwohlschädlich und nicht länger hinnehmbar«. Die Ersparnisse müssten einer Personaloffensive zugutekommen. In den kommenden fünf Jahren sollten jährlich 10.000 zusätzliche Stellen geschaffen und die Zahl der Auszubildenden auf 12.000 pro Jahr verdoppelt werden. Dabei könne auch der Wegfall von Arbeitsplätzen durch die Konversion der Autoindustrie abgefedert werden. »Generell sollte gelten: gleiche oder bessere Bezahlung für Zugbegleiter gegenüber Flugbegleitern und Schienenplanern gegenüber Straßenplanern.«
Als »fatalen Irrweg« erachten die Autoren die sogenannte Generalsanierung, bei der Dutzende Hauptkorridore über Monate komplett gesperrt statt unter »rollendem Rad« instand gesetzt werden. Das bringe Menschen dauerhaft vom Bahnfahren ab. Weichen für Überholungen seien »(wieder) einzubauen, Haltepunkte (wieder) zu Bahnhöfen zu machen, um damit Überholungen zu ermöglichen, eingleisige Strecken zweigleisig auszubauen«. Schließlich regt »Bahn für alle« ein transparentes und erschwingliches Preissystem an: 100 Kilometer Bahnfahrt sollen demnach zehn Euro kosten, mit zehn Prozent Aufschlag bei ICE- sowie fünf Prozent bei IC- und Fahrten mit der zu reaktivierenden Interregio-Gattung.
Konzept »Eine Zukunftsbahn für alle« im Internet unter: www.bahn-fuer-alle.de
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