Am Süden orientiert
Von Jörg Kronauer
Die größten Wellen auf dem diesjährigen Xiangshan Forum, das am Freitag in Beijing zu Ende ging, hat wohl die auf Videos dokumentierte und online verbreitete Auseinandersetzung zwischen Yan Xuetong und Elad Shoshan geschlagen. Der Dekan des Institute of International Relations an der renommierten Tsinghua University kritisierte Israels Kriegführung im Gazastreifen gegenüber dessen Militärattaché an der Botschaft in China scharf: Wer eine so hohe Zahl an Zivilisten umbringe, habe jegliche »Legitimität« für sein Handeln verloren. Auf Shoshans dümmliche Phrase, Israel tue alles, um Zivilisten zu schützen, und die Zahl von 70.000 zivilen Todesopfern sei übertrieben, antwortete Yan in einer für ostasiatische Verhältnisse ungewohnten Offenheit, niemand »außer einigen Israelis« glaube derlei »Propaganda« noch. Über Tatsachen entscheide nicht die israelische Regierung. Wenn Israel Fortschritte erzielen wolle, müsse es der Zweistaatenlösung zustimmen und mit den Palästinensern verhandeln. Eine andere Lösung könne es nicht geben, fuhr der Wissenschaftler den Offizier an.
»Die internationale Ordnung schützen, gemeinsam eine friedliche Entwicklung fördern«: So lautete das Motto des Xiangshan Forum 2025, das dieses Jahr zum mittlerweile zwölften Mal abgehalten wurde. Das Forum gilt als Gegenstück zum sogenannten Shangri-La Dialog, den das in London beheimatete International Institute for Strategic Studies (IISS) alljährlich in Singapur durchführt. Dieses Format führt vor allem Repräsentanten der westlichen Staaten und ihre asiatisch-pazifischen Verbündeten zu Gesprächen über die außenpolitische und militärische Entwicklung in Asien zusammen. China, das dort zumeist eher die Rolle eines Außenseiters einnimmt, hat mit dem Xiangshan Forum ein eigenes Format geschaffen, das nicht am Westen, sondern am globalen Süden orientiert ist. So kommt es, dass sich unter den mehr als 1.800 angereisten Regierungsmitarbeitern, Militärs und Wissenschaftlern aus gut 100 Ländern beispielsweise mehrere Verteidigungsminister afrikanischer Staaten befanden, aber kaum hochrangige Vertreter der westlichen Welt.
Chinas Verteidigungsminister Dong Jun trug dem in seiner zentralen Rede auf dem Forum Rechnung. Die Kraft des globalen Südens, der sich in einem historischen Aufstieg befindet, sei »nicht zu stoppen«, urteilte Dong; sie treibe »die Räder der Geschichte ununterbrochen an«. Die Volksrepublik wolle ihre militärische Kooperation mit den Ländern des Südens intensivieren. Das sei nötig, denn die aktuelle Entwicklung sei hochgefährlich: »Äußere militärische Einmischung, das Streben nach Einflusssphären sowie der Versuch, andere dazu zu zwingen, sich auf eine Seite zu schlagen, werden die internationale Gemeinschaft ins Chaos stürzen«, warnte Dong. Wen er damit meinte, lag auf der Hand. Die »Besessenheit von absoluter Überlegenheit in Sachen militärische Stärke« sowie »ein Ansatz, der auf das Recht des Stärkeren setzt«, würden »in eine gespaltene Welt« münden, in der nur »das Gesetz des Dschungels und Ordnungslosigkeit« herrschten.
Konkret wurde die Debatte insbesondere mit Blick auf die Konflikte im Südchinesischen Meer. Dong kritisierte »außerregionale Mächte«, die – unter dem Vorwand, die »Freiheit der Seefahrt« zu schützen – in den Konflikten um die Inseln dort stets aufs Neue provozierten. Stellvertretend für andere setzte sich Kao Kim Hourn, ein kambodschanischer Diplomat, der seit 2023 als Generalsekretär des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN amtiert, für die Verabschiedung eines Verhaltenskodex für das Südchinesische Meer ein, um die dortigen Streitigkeiten friedlich einzuhegen. Dong stimmte ihm zu: Das liege ganz auf Chinas Linie, »inklusive, kooperative Sicherheitspartnerschaften« anzustreben – ganz im Gegensatz zum Westen, der weiterhin »in kleinen Zirkeln um Hegemonie« kämpfe. Aktuelles Beispiel ist Israels Gewaltpolitik im gesamten Nahen und Mittleren Osten. Kein Zufall, dass Yan Xuetong sie am Rande des Xiangshan Forums offen anging.
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