Seit mehr als 100 Jahren – Besatzung und Massaker in der Levante
Von Karin Leukefeld
Beirut befand sich 1914 unter osmanisch-deutscher Kontrolle. Das Osmanische Reich und das Deutsche Reich standen als Verbündete im Ersten Weltkrieg in der Levante an der östlichen Mittelmeerküste der Allianz von Großbritannien und Frankreich gegenüber. Die arabische Unabhängigkeitsbewegung markierte im Abkommen von Damaskus (1916) das Gebiet, in dem die politische Unabhängigkeit der Region entstehen sollte. Nicht weniger als das Land, zwischen dem Persischen Golf im Osten und dem Mittelmeer und dem Roten Meer im Westen, vom Euphrat-Tigris-Becken bis zum Arabischen Meer. Das Gebiet umfasste den sogenannten Fruchtbaren Halbmond und die Arabische Halbinsel, Seewege sollten international frei zugänglich bleiben.
Dieser Plan widersprach allen offenen und geheimen Vorhaben der Großmächte für die Region. Während London und Paris den Unabhängigkeitskämpfern ein Bündnis anboten, versuchten Agenten des Deutschen Reichs, insbesondere die arabischen Stämme gegen Großbritannien und Frankreich für den »Heiligen Dschihad« zu mobilisieren. Der osmanische Militärgouverneur von Groß-Syrien, Dschemal Pascha, stufte die Unabhängigkeitskämpfer als Verräter ein und ließ sieben von ihnen in Damaskus und 14 in Beirut hinrichten. Sie wurden am 6. Mai 1916 gleichzeitig auf zentralen Plätzen gehängt. In Beirut wurde später zur Erinnerung ein Denkmal errichtet, der Platz ist bis heute bekannt als Platz der Märtyrer.
Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches unterstellte der Völkerbund die fünf Provinzen, aus denen der heutige Libanon besteht, der direkten Kontrolle Frankreichs. Das französische Mandat bestand von 1923−1946. Aber auch nach seiner Unabhängigkeit (per Erklärung 1943, de facto nach dem Abzug französischer Truppen 1946) blieb das Land Spielball ausländischer Interessen. 1948/49 beteiligten sich seine Truppen am Krieg um Palästina gegen das neu gegründete zionistische Israel, das seine Macht ausdehnte. 1958 landeten US-Truppen in Beirut, um innerlibanesisch zu intervenieren, mussten sich aber nach einem Präsidentenwechsel zurückziehen. Im Juni 1967 begann der Sechstagekrieg Israels, der Libanon stand an der Seite der Palästinenser. Im Dezember 1968 bombardierte und zerstörte die israelische Luftwaffe den Flughafen von Beirut und nahezu alle Flugzeuge von Middle East Airlines.
Die permanente Landnahme der Zionisten vertrieb die Palästinenser in den Libanon und andere Nachbarländer. Palästinensische Flüchtlingslager im Zedernstaat waren fortwährend Ziel von israelischen Angriffen. 1975 begann der libanesische Bürgerkrieg, in dem ausländische und regionale Kräfte direkt und indirekt gegen jedes Bündnis mit den Palästinensern agierten und die religiöse, sektiererische Spaltung des Landes schürten.
Zwischen Februar 1975 und Dezember 1976 wurde das Flüchtlingslager Maslakh-Karantina (im Hafenbezirk) von christlichen Milizen angegriffen, bis zu 1.500 Menschen wurden getötet. Unter den 30.000 Bewohnern waren libanesische Schiiten, Palästinenser, Armenier, Kurden. 20.000 Menschen wurden in andere Lager evakuiert. Zwischen Juni und August 1976 wurden die palästinensischen Flüchtlingslager Dschisr Al-Bascha und Tel Al-Satar (22. Juni bis 12. August 1976) angegriffen, 4.280 der Einwohner getötet, die Lager wurden zerstört.
1978 marschierten israelische Truppen im Südlibanon ein und besetzten das Gebiet. 1982 folgte die Ausweitung der Besatzung und die Belagerung von Beirut. Das Massaker von Sabra und Schatila (16. bis 19. September 1982) wurde unter den wachsamen Augen der israelischen Besatzungsarmee verübt. Bis zu 3.500 Menschen wurden ermordet.
Täter in allen Massakern – auch mit israelischer Unterstützung – waren christliche Milizen verschiedener Gruppen, die sich später zu den Libanesischen Kräften (LF) zusammenschlossen. Nach 1982 kooperierte und finanzierte Israel die südlibanesische Armee (SLA), deren Angehörige im Jahr 2000 gemeinsam mit den israelischen Truppen abzogen.
Es folgte eine Zeit der Ruhe bis zum Krieg 2006, der nach einem Monat unter internationalem Druck von den Vereinten Nationen gestoppt wurde. Schon seit 1978 überwacht die UN-Friedensmission für den Libanon, UNIFIL, die Waffenstillstandslinie im Südlibanon entlang der »Blauen Linie«.
Im Oktober 2023 eröffnete die Hisbollah südlich der »Blauen Linie« eine »Entlastungsfront« für die Palästinenser in Gaza und griff israelische Militärstellungen an. Israel reagierte mit rund fünfmal mehr Angriffen auf Libanon. Vor einem Jahr eskalierte dieser bewaffnete Konflikt zu einem offenen Krieg. Auftakt waren die tödlichen Angriffe mit explodierenden Pagern am 17. September, eine Woche später wurde der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, mit einem gezielten Luftangriff im südlichen Beirut getötet.
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