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Aus: Ausgabe vom 22.09.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Libanon

Kriegsverbrechen bejubelt

Vor einem Jahr ließ Israel im Libanon Tausende Kommunikationsgeräte per Fernzündung explodieren – zahlreiche Tote und Verletzte. Führung feierte sich für »Erfolg«
Von Karin Leukefeld
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Hier ist niemandem zum Jubeln zumute: Gedenkmarsch für die Opfer der »Pager-Angriffe« Israels am 17. September in Beirut

In diesen Tagen wird im Libanon der Opfer der israelischen »Pager-Attacke« gedacht. Dabei wurden 40 Personen getötet und mehr als 3.400 zum Teil schwer verletzt. Die Menschen verloren ihre Augen, Nasen, Finger, Hände, Handflächen oder Gliedmaßen. Viele werden ihr Leben lang nicht wieder arbeiten können und auf Hilfe angewiesen sein.

Am 17. September 2024 explodierten mehr als 3.000 Pager, die auch als Personenrufempfänger bekannt sind. Die Explosionen waren durch ein Signal ausgelöst worden und töteten und verletzten alle Träger der Geräte. Einen Tag später, am 18. September, wurden auf die gleiche Weise ferngesteuert Hunderte Walkie-Talkies gesprengt, erneut starben Menschen und alle Träger der Geräte wurden verletzt. Die Funksprechgeräte waren von Kämpfern, Angehörigen, Unterstützern der Hisbollah genutzt worden, um jenseits der allgegenwärtigen Telefonüberwachung Israels im Libanon kommunizieren zu können. Überwachungskameras zeigen, dass die Geräte mitten am Tag auf vollen Märkten und in Geschäften explodierten.

Am 10. November übernahm der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu persönlich die Verantwortung für den »großen und erfolgreichen« Angriff. Er prahlte damit, dass er den Einsatz allen Warnungen zum Trotz angeordnet habe. Der damalige Verteidigungsminister Joaw Gallant hatte bereits unmittelbar nach dem Angriff erklärt, die Armee habe »zusammen mit Schin Bet und Mossad sowie allen Abteilungen« ihrer Institutionen »wirklich beeindruckende Ergebnisse« geliefert.

In einer Art Kriegspropaganda lieferten Ende Dezember 2024 angebliche Mossad-Agenten unter Tarnnamen im CBS-Programm »60 Minutes« weitere Informationen. Danach habe der Auslandsgeheimdienst die Geräte in einem getarnten Unternehmen in Ungarn mit den Zündern und Sprengstoff präpariert. Die Operation habe vor zehn Jahren begonnen, man habe eine »Scheinwelt« für die Hisbollah erschaffen. Ziel sei gewesen, eine »Botschaft zu senden«, so einer der Redner. Wenn jemand verletzt werde, müsse man ihn ins Krankenhaus bringen, sich kümmern und Geld dafür ausgeben. »Diese Menschen ohne Hände und Augen sind der lebende Beweis dafür, dass man sich nicht mit uns anlegen sollte.«

Zuvor hatte Beirut Anfang November des letzten Jahres bei der UN-Arbeitsorganisation (ILO) in Genf eine Beschwerde gegen Israel eingelegt. Der damalige Arbeitsminister Mustafa Bayram bezeichnete die Angriffe als »ungeheuerlichen Krieg gegen die Menschlichkeit, gegen Technologie und gegen Arbeit«. Viele Arbeiter und Angestellte seien schwer verletzt oder getötet worden. Aus völkerrechtlicher Sicht handelt es sich um einen illegalen Angriff.

Im eigenen Land und im westlichen Ausland wurde die israelische Führung von Politik und Medien vielfach bejubelt für die »gelungene Operation«. Das Land, seine Armee und Geheimdienste arbeiten in Kooperation und mit Geld westlicher Verbündeter intensiv an einer neuen Art von Kriegführung, mit der Hunderte oder gar Tausende von Menschen gleichzeitig eliminiert werden können. Dazu gehört Telefon- und Drohnenüberwachung, Gesichts- und Stimmerkennung und künstliche Intelligenz (KI) wie »Lavender«, »Where’s Daddy« und »Gospel«. Bei allen Entwicklungen, besonders aber bei den KI-Waffensystemen, wie sie im Gazakrieg eingesetzt werden, stehen Unternehmen wie Microsoft und Palantir als Partner zur Seite. Im Jargon der Militaristen spricht man von »smarten Kriegen«.

Hintergrund: Widerstand gegen »Großisrael«

Unter dem Motto »Wir haben uns erholt« zogen am vergangenen Dienstag Tausende entlang der Küstenstraße in Beirut von Ain El-Mreisseh bis Manara, dem nordwestlichsten Ufer, wo der markante Leuchtturm steht. Erinnert wurde an den »Pager-Angriff« vom 17. September 2024, Transparente und Plakate erinnerten an die Opfer. Einer der Verletzten, der bei dem Angriff seine Augen verloren hatte, sprach zu den Teilnehmern. Eine große Fahne der palästinensischen Gefangenenorganisation Samidoun wurde von einer Frau stolz in den Wind gehalten.

»Wir haben uns erholt« ist ein Motto der Hisbollah, die das Ziel dieses israelischen Angriffs war. Getroffen wurden allerdings Menschen quer durch die libanesische Bevölkerung, die als Angehörige, Freunde, Unterstützer der Hisbollah direkt oder indirekt Zugang zu einem Personenfunkgerät hatten. Auch Kinder wurden verletzt, die ihrem Vater, der Mutter, dem Bruder das Gerät bringen wollten, als sie das Klingelsignal hörten.

Mit dem Motto und dem Marsch solle deutlich gemacht werden, dass die Betroffenen und die Gesellschaft den Schock des Angriffs überwunden hätten und ihr Widerstand ungebrochen sei, hieß es in einer Erklärung der Organisation. Naim Kassim, der nach der Ermordung von Hassan Nasrallah (27. September 2024) den Vorsitz der Hisbollah übernommen hatte, sagte, er habe großen Respekt vor der Kraft und dem Willen der Betroffenen. Nach den schweren Angriffen sei das Wichtigste gewesen, wieder gesund zu werden, so Kassim. Dann gehe es um das Wiedererlangen der inneren Kraft und des Durchhaltevermögens. Die ganze Gesellschaft müsse dazu beitragen, die Verletzten dabei zu unterstützen.

Der charismatische Hassan Nasrallah hatte sein Leben lang an der Seite der Palästinenser gestanden. Als Bewohner des Flüchtlingslagers Maslakh-Karantina erlebte er 1975 im Alter von 15 Jahren die Angriffe antiarabischer radikaler Christen auf Karantina. Seine Familie gehörte zu den aus Südlibanon vertriebenen Schiiten.

Begonnen hatte die Vertreibung lange vor seiner Zeit. 1919, bei der Pariser Friedenskonferenz forderte die Delegation der Zionisten die Schaffung einer »Nationalen Heimat für die Juden in Palästina«, die Briten entsprachen dem mit der Balfour-Erklärung. Die Grenze dieser »jüdischen Heimstatt« sollten den südlichen Teil des Libanon und den Berg Hermon umfassen und im Süden bis zum Golf von Akaba reichen. Die vollständige Ausdehnung würde sich schließlich über den größten Teil Syriens und des Irak sowie über die Region Hedschas in Saudi-Arabien erstrecken. Genannt wird das Gebiet »Großisrael« und das ist gemeint, wenn der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu von der »Neuordnung des Mittleren Ostens« spricht. (kl)

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