Kleinsparer zu Kryptospekulanten
Von Dominic Iten
Die Volksbanken und Sparkassen entdecken das Kryptogeschäft. Gemäß einer aktuellen Umfrage des Genoverbandes erwägen heute 71 Prozent der deutschen Volksbanken, Angebote für den Kryptohandel einzuführen – in einer vergleichbaren Umfrage von 2023 lag dieser Wert noch bei 54 Prozent. Dass sich die Volksbanken zusehends für Kryptowährungen öffnen, entspricht dem allgemeinen Trend. Selbst bei den Sparkassen, wo vor zweieinhalb Jahren offizielle Gremien noch die Empfehlung abgegeben hatten, den Kunden keinen Kryptohandel anzubieten, scheint sich etwas zu tun – so erklärte etwa kürzlich die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), sie erwäge ein Angebot für Privatkunden.
Die breite Adoption von Kryptowährungen ist getrieben von der Aussicht auf schnelle und hohe Gewinne: »Vom Kleinsparer zum Kryptomillionär« lautet das Versprechen der Kryptomärkte. Und tatsächlich: Finanzinstitute und Anleger verlieren ihre Berührungsängste. Nach Angaben der Hochschule Luzern halten elf Prozent der Schweizer Bevölkerung Kryptowährungen, in Deutschland haben laut Europäischer Zentralbank (EZB) sechs Prozent der Haushalte in Kryptoanlagen investiert – Tendenz steigend.
Der Trend ist aber auch das Ergebnis stärkerer Regulierungen, großer Investitionen institutioneller Anleger und der anhaltenden Diskussionen über staatliche Kryptoreserven. Die Kryptomärkte sind damit etwas greifbarer geworden – doch die warnenden Stimmen sind nicht verstummt: Antoine Martin, Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), meinte kürzlich, der Wert des Bitcoin sei »langfristig ungefähr null«, er wisse »immer noch nicht, wozu Bitcoin dienen soll«. Es handle sich um einen spekulativen Vermögenswert, den man nur haben möchte, weil andere ihn auch haben wollen: »Solange Menschen bereit sind, Hunderttausende Franken dafür zu zahlen, wird er einen Wert haben. Aber was passiert, wenn diese Menschen sich fragen, was sie mit dieser digitalen Währung eigentlich anfangen sollen?«
Der Auftrag der Zentralbanken besteht in der Gewährleistung von Preis- und Finanzstabilität im staatlichen Währungsraum. Insofern ist ihre Skepsis bereits in die Entstehungsgeschichte des Bitcoin eingeschrieben. Dessen ursprünglich erklärtes Ziel lautete nach der Finanzkrise 2008, eine »demokratische« Währung ohne Staat und Zentralbank zu schaffen. In der Praxis hat sich dieses Ideal nicht verwirklicht. Bitcoin wird nur selten als Zahlungsmittel genutzt und primär als Spekulationsobjekt gehalten. Die Vermögens- und Machtkonzentration bei wenigen großen Investoren widerspricht dem Dezentralisierungsversprechen. Wertschöpfung und Informationsvorteile bündeln sich, während viele Privatanleger Verluste einfahren – ein Muster, das man von anderen spekulativen Märkten kennt. Insofern erscheint Krypto heute den Zentralbanken wohl weniger als Keim eines alternativen Geldsystems, sondern als riskanter Anlage- und Technologietrend an der Peripherie des offiziellen Geldes.
Und was hat jetzt der einfache Bankkunde von den Handlungsoptionen bei den Volksbanken? Kurz gesagt: Der Kryptohandel wird vereinfacht, es entsteht ein Zugang im gewohnten Umfeld. Das schafft Übersicht, reduziert den administrativen Aufwand etwa bei der Versteuerung, es gibt klare Ansprechpartner statt unvertrauter Krypto-Wallets. Bitcoin und Co. sind bis heute höchst volatil, hohe Verluste bleiben Alltag am Kryptomarkt. Außerdem existiert für Krypto bislang kein Einlagenschutz: Fällt ein Verwahrer aus, ist das Girogeld geschützt, Kryptowährungen jedoch nicht. Insofern gilt für Krypto, was für Spekulationsobjekte im allgemeinen gilt: Es handelt sich um keine sichere Geldanlage, sondern um eine hochvolatile Wette ohne Einlagenschutz – und ist insofern nur interessant für Anleger, die einen Totalverlust verkraften können.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (18. September 2025 um 23:31 Uhr)»Solange Menschen bereit sind, Hunderttausende Franken dafür [Bitcoin] zu zahlen, wird er einen Wert haben.« Wert? Preis! Wert hatte er für eine InhaberIn allenfalls, wenn es gelang, ihn in etwas Werthaltiges umzutauschen. Angesichts solcher Erscheinungen ersehne ich die Richtigkeit der Zusammenbruchstheorie des Kapitalismus. Mit meinen sechsundsiebzig Jahren attestiert mir das Statistische Bundesamt allerdings nur geringe Chancen, den potentiellen Zusammenbruch zu erleben. Und schon wieder muss ich an die widersprüchlichen Ansprüche an eine Währung erinnern: Beliebige Mengenverfügbarkeit im Raum, zuverlässiger Wertspeicher in der Zeit. Im Gegensatz zu Bitcoin erzeugt Gold, eingelagert im Tresor, kein CO2. Kurz: KI und Bitcoin geben der Menschheit (und vielen anderen Spezies) den Rest. Mögliche Rettung: Der nukleare Winter. Auf den steuert (die Menschheit, der Wertewesten, wer sonst noch?) recht zielgerichtet zu.
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