Australien entdeckt die Arbeiter
Von Thomas Berger
Die Gewerkschaftsbewegung in Australien hat es in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht leicht gehabt. Rechtskonservative Regierungen, die in Canberra lange politisch am Steuer waren und Arbeitsreformen nach US-amerikanischem Vorbild umgesetzt haben, haben tiefe Spuren hinterlassen. Hinzu kommen Aspekte wie der demographische Wandel und eine Abkehr von der »klassischen« Industriegesellschaft, auch wenn dieser Prozess in Australien, wo die Wirtschaft nach wie vor stark in der Ausbeutung riesiger Rohstoffvorkommen verankert ist, langsamer verläuft.
Der verlorene Einfluss lässt sich nicht auf einen Schlag zurückgewinnen. Doch viele machtvolle Streikaktionen im Vorjahr sind Ausdruck gewachsenen Selbstbewusstseins. Hinzu kommt: Die Reformen der aktuell regierenden Sozialdemokraten unter Premier Anthony Albanese vom eher linken Flügel der Labor Party zeigen erste positive Wirkungen. Zu dieser Einschätzung kommt eine am Dienstag veröffentlichte Studie des US-Thinktanks Center for American Progress (CAP), der der dortigen Demokratischen Partei nahesteht. Für endgültige Schlüsse sei es noch zu früh. Aber laut ersten Kennziffern steigen die Löhne, der gewerkschaftliche Organisierungsgrad sowie die Anzahl kollektiver Arbeitskämpfe. So lautet die vorsichtige Zwischenbilanz der Gesetzesänderungen seit 2022, die der Autor der Studie, David Madland, ein Experte für diesen Themenbereich in den USA, zieht.
Zwar lag die Gewerkschaftsdichte in Australien schon immer unter der in vielen anderen Industriestaaten. Doch bis 1992 waren immerhin bis zu 40 Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert, wie Madland in der Studie erinnert. Bis zur Jahrtausendwende war dieser Wert nach OECD-Daten bereits auf ein Viertel gesunken. Im Jahr 2022 erreichte dieser Abwärtstrend seinen Tiefstwert bei 12,5 Prozent im Jahr 2022. Im vergangenen Jahr stieg der Organisierungsgrad erstmals seit 13 Jahren wieder leicht auf über 13 Prozent.
Wie die CAP-Studie verdeutlicht, waren kollektive Arbeitskämpfe für ganze Branchen im vergangenen Jahrzehnt kaum mehr existent. Zwischen 2013 und 2022, so Madland, seien 99,5 Prozent aller neuen Vereinbarungen nur noch für ein einziges Unternehmen abgeschlossen worden. Diese mangelnde gewerkschaftliche Schlagkraft habe sich in eher stagnierenden Löhnen niedergeschlagen. Auch hier zeichne sich jetzt ein Wandel ab. So wurden Restriktionen für kollektive Arbeitskämpfe seit Dezember 2022 zumindest gelockert. Für Gewerkschafter wurde der Zugang zum Arbeitsplatz erleichtert. Hindernisse für Verhandlungen mit mehreren Unternehmen der gleichen Branche wurden abgebaut. Zwar seien australische Gewerkschaften noch immer schlechter gestellt als etwa die im benachbarten Neuseeland nach ähnlichen Reformen. Dennoch profitierten im März 2025 schon 2,67 Millionen Beschäftigte von kollektiven Vereinbarungen, zitiert Madland aus einer Untersuchung, die in Australien selbst zur Wirkung der Gesetzesänderungen durchgeführt wurde. Im Dezember 2022 waren es nur 1,8 Millionen. Immerhin: 40 Prozent der Beschäftigten, die unter einen Tarifvertrag fallen, sind Mitglied einer Gewerkschaft.
Erfolge seit dem neuen Gesetzeswerk der Labor-Regierung zeigen sich überdies bei der Reduzierung des Gender Pay Gap. Die Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern ist, wie sich Premier Albanese auf seiner Internetseite brüstete, im März 2025 auf ein historisches Tief von 11,5 Prozent gefallen. Im Mai 2022 lag sie noch bei 14,1 Prozent. Auch dies, so Madland, sei gerade auf verstärkte kollektive Arbeitskämpfe zurückzuführen. Da manche Reformschritte erst Ende 2023 oder gar 2024 in Kraft traten, ist es für ein umfassendes Bild mangels bestimmter Daten noch zu früh – diese ersten Resultate seien jedoch ermutigend, urteilt CAP. Damit könnten solche Reformen gar ein Vorbild für die USA sein, heißt es am Ende der Studie. Dort allerdings werden derweil andere Prioritäten gesetzt.
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