Schlechte Arbeit
Von Gudrun Giese
Der Handel steht unter Druck – das gilt ganz besonders für die dort Arbeitenden. Eine in dieser Woche vorgelegte Befragung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für den Einzelhandel sowie den Groß- und Außenhandel belegt, dass die Arbeitsbedingungen miserabel sind.
Insgesamt geben die 11.732 Teilnehmer an der Befragung nach dem DGB-Index »Gute Arbeit« ihrer Tätigkeit sehr schlechte Noten: Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Umgangsformen der Vorgesetzten werden auch im Vergleich zu anderen Branchen weit unter dem Durchschnitt bewertet. Ein Gesamtindexwert von 39 Punkten bedeutet »schlechte Arbeit«. Auch wenn die Ergebnisse nach Berufsgruppen und Landesbezirken leicht differieren, fällt auf, dass im Handel eine ungünstige Kombination aus hoher Arbeitsbelastung mit zu geringer Entlohnung sowie der Furcht vor Altersarmut besteht. 79 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Lohn angesichts ihrer Arbeitsleistung kaum oder gar nicht angemessen sei. 52 Prozent reicht das Entgelt gerade so aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, aber bei 19 Prozent ist nicht einmal das der Fall. Dass ihre künftige Rente keinesfalls zum Leben reichen wird, sagten 68 Prozent. Zugleich nimmt der Druck immer weiter zu: 67 Prozent sind durch ihren Job im Handel stark oder sehr stark gesundheitlich belastet. Nicht verwunderlich, dass 78 Prozent der Befragten gerne den Arbeitsplatz wechseln würden. Wegen der hohen Gesundheitsbelastungen können sich ohnehin 78 Prozent nicht vorstellen, bis zur Rente so zu arbeiten wie derzeit.
Veränderungen seien angesichts der Ergebnisse dringend nötig, erklärte Silke Zimmer, für den Handel zuständiges Verdi-Bundesvorstandsmitglied, nur dann würden Fachkräfte gehalten und gewonnen. Wer könne, kehre in der derzeitigen Situation dem Handel jetzt allerdings den Rücken. Das sei aber wegen seiner Bedeutung verheerend. »Gerade diese Branche, die ja für die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs verantwortlich ist, muss durch gute Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sein, um die Versorgung dauerhaft abzusichern.« Dazu gehöre auch ein besserer Umgang der Vorgesetzten mit dem Personal in Filialen und Logistikzentren. In der Umfrage klagten 47 Prozent der Teilnehmer über eine herablassende Behandlung. »Der Handel braucht Führungskräfte, die sich vor ihre Beschäftigten stellen und sie unterstützen«, sagte Silke Zimmer dazu. Entlastung bei den körperlichen Anforderungen und der Arbeitsintensität müsste dringend tarifvertraglich geregelt werden. Gute Arbeit sei kein Luxusgut, sondern ein Recht der Beschäftigten.
Für Verdi Baden-Württemberg, wo es vergleichbare Ergebnisse gab wie bundesweit, kündigte Wolfgang Krüger, Landesfachbereichsleiter Handel, für die nächste Zeit Diskussionen mit den Beschäftigten über die Umfrageresultate bei Betriebsversammlungen an. Auch die Unternehmensleitungen seien aufgefordert, »die Beschäftigten frühzeitig und umfassend in die Gestaltung einer sich wandelnden Arbeitswelt« einzubeziehen. Henrike Eickholt, Verdi-Fachbereichsleiterin Handel in Nordrhein-Westfalen, sieht in den dortigen Umfrageergebnissen ein »erschreckendes Abbild der bundesweiten Situation«. Es sei nicht akzeptabel, dass Beschäftigte dieser Branche ihre Lage bei Einkommen und Rente so negativ einschätzten. Sie wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nur noch für rund ein Drittel der Beschäftigten im NRW-Handel ein Tarifvertrag gelte. Die Tarifbindung müsse durch ein besseres Tariftreuegesetz gestärkt werden.
Aus Sicht des Handelsverbands HDE sind dagegen die Umfrageergebnisse »objektiv nicht nachvollziehbar«, zitierte die Lebensmittelzeitung am Dienstag Steven Haarke, Geschäftsführer Arbeit und Soziales im Verband. Mit Blick auf Daten des Statistischen Bundesamtes verwies er auf einen Durchschnittsverdienst von 3.628 Euro brutto monatlich für eine Vollzeitkraft im Einzelhandel, was er für auskömmlich hält. Dabei überging Haarke die hohe Teilzeitquote im Einzelhandel. Viele zumeist weibliche Beschäftigte dort möchten mehr arbeiten, erhalten aber keine Vollzeitverträge.
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