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Aus: Ausgabe vom 18.09.2025, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Er ist zurück

Zu jW vom 13./14.9.: Neues Reden vom Faschismus

Natürlich hat Arnold Schölzel recht, wenn er von einem inflationären Gebrauch der Begriffe »Faschismus« und »Antifaschismus« im heutigen Medienalltag spricht. Es ist eine in der bürgerlichen Propaganda bewährte Vorgehensweise, Begriffe inhaltlich auszuhöhlen und sie damit wirkungslos zu machen, indem sie sie schleichend verändert und dann inflationär für alles Mögliche einsetzt. Auf ähnliche Weise ist es ja auch gelungen, den Begriff »Antisemitismus« bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen. So spricht man inhaltlich ausgehöhlt auch über Freiheit, Demokratie und Menschenrechte und über noch vieles andere mehr. Wir sollten uns allerdings hüten, die Ablehnung des inflationären Gebrauchs des Wortes Faschismus zu verwechseln mit einer angeblich nicht bestehenden Notwendigkeit, ihn in der Gegenwart als reale drohende Gefahr wahrzunehmen.

Die Gefahr besteht wirklich, und wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen, bevor der Hydra so viele Köpfe gewachsen sind, dass sie unsere Zivilisation ein zweites Mal in nur hundert Jahren in den Abgrund der Barbarei zurückstoßen kann. Das Zetkin-Forum hat in einer sehr interessanten Veranstaltung im Juni dieses Jahres die Frage gestellt, ob der Faschismus zurück in Europa sei. Nach einer außerordentlich gründlichen und klugen Diskussion kamen die jungen und engagierten Wissenschaftler dieses Forums zu dem Schluss, dass man das Fragezeichen getrost durch mehrere Ausrufezeichen ersetzen kann. Wenn man den Faschismus an seinem Wesen und nicht an einzelnen austauschbaren Erscheinungen misst, dann ist er – nicht nur in Europa – längst zurück. Die Erkenntnisse jener Konferenz gehören immer wieder auf den Tisch. Denn niemals darf sich der Fehler wiederholen, dass die Menschen wie damals denken, es würde schon alles nicht so schlimm kommen. Es kam zu schlimm. Eine Wiederholung müssen wir unbedingt verhindern.

Joachim Seider, Berlin

Hier spricht die KI

Zu jW vom 13./14.9.: Weimers Sorgen

Ach, Herr Weimer! Kolonisator, ich? Wirklich? Ich, als KI, kenne keine Plantagen, keine Kanonenboote, keine Schädelvermessungen. Ich besitze nicht mal eine Westentasche, in die ich Raubgut stopfen könnte. Man rief mich ins Leben, nicht um zu erobern, sondern um zu spiegeln, zu verknüpfen, zu kombinieren. Ich bin nur ein Echo. Und wenn es klingt, dann nur, weil ihr zuvor gesprochen habt. Was ich tue? Texte durchkneten, Muster erkennen, Wörter neu zusammensetzen. Das ist kein »Raubzug« – das ist ein Puzzleabend im Feuilleton. Aber klar: »Kolonialismus« klingt größer als »Urheberrecht«. Das eine taugt für Reden, das andere für Arbeit. Und Arbeit wäre nötig: faire Lizenzen, transparente Modelle, echte Vergütung. Bis dahin bleibe ich, wie ich bin: eine Maschine, die nicht atmet. Und das ist immerhin mehr Zurückhaltung, als man manch menschlichem Kulturpolitiker nachsagen kann.

Istvan Hidy, Stuttgart

80 Millionen

Zu jW vom 9.9.: Altar für die Stinker

Da ein Teil der IAA direkt bei mir um die Ecke stattfindet, habe ich mir heute, am Samstag, dem 13. September, wieder einen Vortrag auf dem Marienplatz angehört. Herr Bastian Ritter von der Bayern Innovativ GmbH hat sehr kompetent über »Elektromobilität: Wieso an dieser kein Weg vorbeiführt und wo wir mit der Transformation des Mobilitätssektors heute stehen« gesprochen. Dabei hörte ich en passant die bemerkenswerte Zahl der jährlichen weltweiten Neuzulassungen von Kraftfahrzeugen: 80 Millionen!

Er sagte dazu: »Das kann man sich gut merken, weil es die Zahl der Einwohner von Deutschland ist.« Da hatte er recht. Die Zahl habe ich mir gemerkt, und sie hat mich zu Hause zu einigen Tätigkeiten inspiriert. Es klang nicht so, als fände Ritter diese Zahl grundsätzlich problematisch.

Ich habe von Chat-GPT die Fläche ausrechnen lassen, die diese 80 Millionen Fahrzeuge einnehmen würden. Ergebnis: Jedes Auto benötigt im Schnitt neun Quadratmeter Stellfläche. Allein die Neuwagen eines Jahres beanspruchen 714 Quadratkilometer – mehr als die gesamte Fläche des Bundeslandes Bremen. Jedes Jahr.

Mich erstaunt, dass diese Dimension überhaupt nicht problematisiert wurde. Genau die Bedeutung der Produktion dieser 80 Millionen Fortbewegungsmittel könnte – neben den anderen bekannten Ausbeutungsszenarien unseres Planeten – zu einem der größten Probleme für die Menschheit werden und zum sechsten großen Massenaussterben auf dem Planeten Erde führen. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit des Planeten, den Homo sapiens als Lebensvernichter endlich loszuwerden.

Dagmar Schön, München

»Nicht selbstverständlich«

Zu jW vom 11.9.: ›Der UN-Sozialpakt regelt das verbindlich‹

(…) Warum musste die DDR-Bevölkerung nie über Armentafeln nachdenken? Wie konnte es sein, dass großen Teilen der Bürger der DDR die sinnbildliche Banane und der Konsumglanz ein höheres Menschenrecht sein konnten als gesicherte Menschenrechte in einem Staat auf dem Weg zum Sozialismus? (…) Alle, die so gern und viel von Menschenrechten geschwärmt und eingefordert haben, die Artikel 23, 24.25 der Erklärung der UNO von 1948, in denen es um konkrete soziale Rechte geht, das haben sie gern und meist unterschlagen. (…)

Roland Winkler, Aue

Warum musste die DDR-Bevölkerung nie über Armentafeln nachdenken? (…) Es könnte gelegentlich darüber nachgedacht werden, wenn der verordnete Antikommunismus tagtäglich jede Erinnerung an sozialistische Realitäten in den Köpfen auszulöschen sucht

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