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Aus: Ausgabe vom 18.09.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Argentinische Wirtschaft

Mileis Kahlschlag

Argentinien: Die Regierung des ultralibertären Präsidenten erzeugt ein beispielloses Firmensterben im Land
Von Volker Hermsdorf
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Gegen Präsident und Währungsfods: Vor dem Präsidentenpalast in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires

Die argentinische Wirtschaft erlebt unter Präsident Javier Milei einen historischen Einbruch. Seit Amtsantritt des ultraliberalen Staatschefs vor 17 Monaten haben mehr als 16.000 Firmen dichtgemacht, fast 1.600 davon in der Industrie. Noch nie seit der Krise von 2001 wurden so viele Betriebe in so kurzer Zeit vernichtet. Während Milei versucht, die katastrophale Bilanz mit Durchhalteparolen wie »Das Schlimmste ist vorbei« zu verharmlosen, bestätigen Unternehmerverbände einen dramatischen Schrumpfungsprozess. Mit durchschnittlich 859 Pleiten pro Monat zerstört die aktuelle Regierung doppelt so viele Unternehmen wie die von Mileis neoliberalem Ziehvater Mauricio Macri (2015–2019), die monatlich 492 Pleiten verursachte.

Die von der Beraterfirma Vectorial ausgewerteten aktuellen Daten der Aufsichtsbehörde für Arbeitsrisiken (Superintendencia de Riesgos del Trabajo, SRT) zeigen ein düsteres Bild: Die Zahl der registrierten Unternehmen sank von 512.357 im November 2023 auf aktuell 496.035 – ein Minus von 16.322 Betrieben. Besonders alarmierend ist die Situation in der Metallindustrie, deren Kapazitätsauslastung im August auf 44,8 Prozent fiel – ein Niveau, das zuletzt während des pandemiebedingten Lockdowns im Jahr 2020 zu Buche schlug.

Laut dem Verband der Metallindustriellen ADIMRA verzeichnete die Branche im August gegenüber dem Vorjahresmonat einen Produktionsrückgang von 6,1 Prozent. 90,5 Prozent der Metallbetriebe rechnen mit weiteren Entlassungen oder stagnierender Beschäftigung. »Wachstumsbereiche wie Landmaschinen und Anhängerbau verlieren deutlich an Schwung, während Schlüsselbranchen wie Autoteile, Gießereien oder Investitionsgüter ihre Talfahrt beschleunigen«, analysiert ADIMRA. Von einer wirtschaftlichen Erholung keine Spur. Dabei umfasse die offizielle Statistik nur formelle Schließungen, ergänzte die Tageszeitung Página 12 am Mittwoch. »Sie berücksichtigt weder die mehr als 1.400 Bäckereien, die inzwischen dichtgemacht haben, noch die Kioske, die kurz vor dem Ruin stehen.«

Angesichts der Wirtschaftsdaten warnte Página 12 am Mittwoch vor einer noch »weit schwereren Rezession als der aktuellen«. Mileis Haushaltsentwurf für 2026 sieht weitere drastische Kürzungen vor, die Investitionen, Sozialausgaben und öffentliche Dienstleistungen gleichermaßen treffen. Dem regierungsnahen Industrieverband (Unión Industrial Argentina) reicht das aber noch nicht. Er fordert weitere Arbeitsmarktreformen, um »Kosten zu senken« – was weitere Entlassungen bedeuten dürfte.

Die aktuellen Zahlen belegen, dass Mileis Schocktherapie Verheerungen hinterlässt. Bereits unter Macri verschwanden fast 24.000 Unternehmen – mehr als durch die Pandemie. Doch mit über 16.000 in kürzester Zeit dichtgemachten Betrieben legt Milei noch eins drauf. Und wie einst Macri wiederholt er seit gut einem Jahr mantraartig, man habe die ärgste Entwicklung bereits hinter sich. Die Parallelen seien unübersehbar, erinnert Página 12. Macri verkündete 2018, die Durststrecke sei beendet – wenige Wochen später stand er beim Internationalen Währungsfonds auf der Matte und bettelte um den größten Kredit in der Geschichte des IWF: 44 Milliarden US-Dollar.

Heute wiederholen Milei und sein Wirtschaftsminister Luis Caputo dessen Propaganda vom »Ende der Krise«. Während Regierung und regierungsnahe Unternehmerverbände von »systemischer Wettbewerbsfähigkeit« und »fiskalischer Stabilität« träumen, erodiert die reale Wirtschaft. Mileis Libertäre öffnen die Märkte, während sie gleichzeitig die Produktionsbasis zerstören. Die Wirtschaft rutscht mittlerweile in eine Rezession, die viele Argentinier an die dunkelsten Jahre der jüngeren Geschichte erinnert.

Die argentinische Zeitung Pausa hatte im August darauf verwiesen, dass unter den peronistischen Regierungen neue Unternehmen und Arbeitsplätze entstanden waren. Unter Néstor Kirchner sei die Zahl der Betriebe demnach um 53 Prozent, unter Cristina Fernández de Kirchner um acht Prozent gewachsen. Selbst während der Coronapandemie sei es der Regierung Alberto Fernández gelungen, mit einem leichten Plus von 0,4 Prozent aus der Krise zu kommen.

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