Traurige Liste
Von Sara Meyer, Bogotá
Hinter jeder Zahl steht ein Leben, eine Geschichte, ein Ort, den sie schützen wollten. 146 Menschen wurden 2024 weltweit ermordet, weil sie sich für Flüsse, Wälder, Dörfer und Gemeinschaften einsetzten. Dokumentiert wurden die Morde von der NGO Global Whitness, die am Mittwoch ihren Jahresbericht »Roots of Resistance« (Wurzeln des Widerstands) veröffentlichte. Wieder einmal führt Kolumbien die traurige Liste an: 48 Menschen, die ihr Land und ihre Umwelt verteidigt haben, wurden dort getötet – ein Drittel aller weltweit registrierten Fälle.
»Wir wissen, dass viele Angriffe nicht gemeldet werden, daher ist diese Zahl wahrscheinlich eine Unterschätzung«, warnt Global Witness. Zwar ging die Gesamtzahl der Morde im Vergleich zu 2023 von 196 auf 146 zurück, doch »dies bedeutet nicht, dass sich die Situation verbessert hat«, wird im Bericht konstatiert. Die regionale Verteilung macht das globale Ungleichgewicht deutlich: 82 Prozent aller dokumentierten Fälle ereigneten sich in Lateinamerika. Nach Kolumbien folgen Guatemala mit 20, Mexiko mit 19 und Brasilien mit zwölf Opfern. In Afrika wurden neun Morde registriert, in Asien 16.
Besonders betroffen sind indigene Gemeinschaften, Kleinbäuerinnen und -bauern sowie afrokolumbianische Organisationen. Viele von ihnen hätten »Angst davor, die Umweltschäden durch die extraktiven Industrien öffentlich zu machen – besonders diejenigen, die in der Nähe von bewaffneten Gruppen oder in Konfliktgebieten arbeiten«. Angst vor Gewalt und Zwangsvertreibung fördere eine »Kultur des Schweigens«, die Proteste und Bewegungen schwächt. Rund ein Drittel der Opfer gehörte indigenen oder afrokolumbianischen Gemeinschaften an.
Die Täterstrukturen sind komplex: Fast ein Drittel der Morde hängt mit organisierter Kriminalität zusammen, aber auch staatliche Akteure sind beteiligt: »Bewaffnete Kräfte, Polizei und andere Regierungsinstitutionen waren an 17 Tötungen beteiligt.« Kaum einer dieser Fälle wird juristisch verfolgt. »Viele der Urheber entkommen der Strafverfolgung, oft aufgrund staatlicher Versäumnisse bei der Untersuchung und Identifizierung.« In Kolumbien wurden seit 2002 nur 5,2 Prozent der Morde an sozialen Führungspersonen und Menschenrechtsverteidigern vor Gericht aufgeklärt. Die Sektoren, in denen sie tätig sind, zeigen ein klares Muster auf: Aktivismus gegen Bergbau bleibt mit 29 dokumentierten Tötungen das gefährlichste Feld, gefolgt von Forstwirtschaft, Agrarbusiness, Straßenbau und Wassernutzung.
Auch andere Länder Lateinamerikas sind betroffen. In Guatemala stieg die Zahl der dokumentierten Morde von vier im Jahr 2023 auf 20 im vergangenen Jahr. Politische Umbrüche erhöhten häufig das Risiko für Umweltschützende. Gleichzeitig habe »die jahrzehntelange Verquickung von politischen und wirtschaftlichen Interessen in Guatemala zur weitreichenden Ausbeutung der natürlichen Ressourcen geführt«, heißt es im Bericht.
Das Escazú-Abkommen ist das erste regionale Abkommen in Lateinamerika, das spezielle Schutzmaßnahmen für Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten vorsieht. Heute haben 24 Länder das Abkommen unterzeichnet. Kolumbien ratifizierte es 2022. Artikel 9 verpflichtet die Staaten, ein sicheres Umfeld für Umweltschützer zu gewährleisten und Übergriffe zu verfolgen. Tatsächlich wurden seit Inkrafttreten des Abkommens jedoch fast 1.000 von ihnen in der Region ermordet oder gelten als verschwunden.
Mit Blick auf den Rest der Welt, mahnt der Bericht: Umwelt- und Menschenrechtsthemen würden zunehmend verzögert, abgeschwächt oder ganz aufgegeben. Die USA haben das Pariser Abkommen und den Menschenrechtsrat verlassen, während der sogenannte EU-Green Deal an Bedeutung verliere – unter anderem wegen des wachsenden Einflusses rechter Kräfte innerhalb der EU. Auch Schutzgesetze für Aktivisten seien zuletzt abgeschwächt worden. »Diese Entwicklungen untergraben die Möglichkeiten für wirksames Handeln« und würden die Verteidiger von Mensch und Umwelt »isolierter und angreifbarer denn je« machen.
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