800.000 und mehr sollen es werden
Von Bernard Schmid, Paris
An diesem Donnerstag werden in Frankreich wieder landesweit Proteste gegen die Kürzungspolitik der Regierung unter Präsident Emmanuel Macron erwartet. Bereits am vergangenen Mittwoch waren Zehntausende dem Protestaufruf »Bloquons tout!« (»Lasst uns alles blockieren«) gefolgt. In dieser Woche nun haben auch alle wichtigen gewerkschaftlichen Dachverbände gemeinsam zum Streiken und Demonstrieren aufgefordert. Eines bleibt dabei konstant: die starke Mobilisierung des staatlichen Repressionsapparats. Für beide Tage aktivierte bzw. aktiviert der rechtskonservative Innenminister Bruno Retailleau jeweils 80.000 Beamte von Polizei und Gendarmerie. Das sind immerhin doppelt so viele wie zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele im Juli vergangenen Jahres. Drohnen, zehn gepanzerte Wasserwerfer sowie 24 Panzerfahrzeuge vom Typ »Centaure« sollen am Donnerstag in Paris bereitstehen.
»Wird irgendwo blockiert, dann lösen wir die Blockaden auf«, kündigte Retailleau dazu schon am Mittwoch martialisch an. »Zweifellos zwischen 5.000, 8.000 und 10.000 Personen werden nur für den Krawall, nur für Zerstörung kommen«, behauptete er weiter. War der Inlandsgeheimdienst zunächst von rund 400.000 Teilnehmern der Proteste ausgegangen, wurde die Zahl auf 800.000 bis eine Million korrigiert. Auch in der vergangenen Woche war die Staatsmacht im Vorfeld von 100.000 Teilnehmern ausgegangen, am Abend des 10. September meldete Retailleaus Ministerium dann 197.000 Teilnehmer. Der Gewerkschaftsverband CGT hingegen sprach von rund 250.000 Menschen und konnte über 715 Fälle von Arbeitsniederlegungen in öffentlichen und privaten Unternehmen informieren. Auf den Straßen reichten die Protestformen von Kundgebungen und Demonstrationen bis hin zu kurzzeitigem Barrikadenbau, etwa in Paris.
Die »Bloquons tout«-Bewegung weist dabei, als nicht ursprünglich von den Gewerkschaften angefachter Widerstand, Ähnlichkeiten mit der Protestbewegung der »Gelbwesten« auf. Diese hatte vor allem im Spätherbst 2018 bis zu 300.000 Menschen auf die Straßen gebracht. Entstanden war sie im Unterschied zu vorherigen Sozialprotesten hauptsächlich in kleineren und mittleren Städten und nicht in den urbanen Zentren aus Anlass einer Spritsteuererhöhung. In der Anfangsphase waren kleinbürgerliche, gegen Steuern und darüber hinaus auch gegen Staatsausgaben gerichtete Forderungen prägend. Daneben stand eine progressive, zum Teil gewerkschaftsnahe Komponente, die eher Steuergerechtigkeit als eine generelle Ablehnung von Steuern propagierte. Innerhalb von zwei bis drei Monaten nach Entstehen der »Gelbwesten« setzten sich die linken Kräfte stärker durch. Die Bewegung blieb jedoch bis zum Schluss heterogen.
Ähnlich verhält es sich mit der jetzigen »Bloquons tout«-Bewegung. Allerdings waren die Teilnehmer der Proteste am vergangenen Mittwoch im Vergleich zu den »Gelbwesten« von 2018/19 urbaner, jünger und linker. Und dies, obwohl allererste Aufrufe zum Protest vom Juni durchaus zu versuchen schienen, an den Protest der »Gelbwesten« anzudocken. Letztendlich war es jedoch »der linke Flügel von Bloquons tout, der besser mobilisiert hat als der rechte Flügel«, argumentierte der in Grenoble lehrende Politikwissenschaftler Frédéric Gonthier im Wochenmagazin Le Nouvel Obs. Ein Grund dafür waren unterschiedliche Aktionsformen: Aus rechten Kreisen wurde eher zu stillen Formen des Protests – Konsumboykott, zu Hause bleiben und die Kinder nicht in die Schule schicken, oder einen »Kartenzahlboybott, um die Banken zu ruinieren« – aufgerufen. Linke mobilisierten dagegen auf die Straßen zum Demonstrieren, Blockieren und Streiken. Einig im Ziel dürften sich alle sein: »Macron muss weg!«
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