Den EU-Export ersetzen
Von Knut Mellenthin
Sie habe »ein gutes Telefongespräch« mit US-Präsident Donald Trump »über die Stärkung unserer gemeinsamen Anstrengungen zur Steigerung des wirtschaftlichen Drucks auf Russland durch zusätzliche Maßnahmen« gehabt, teilte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, der Öffentlichkeit am Dienstag mit. Damit soll jetzt ein Streit konstruktiv beigelegt sein, der am 4. September durch ein »hitziges Telefongespräch« zwischen dem US-Präsidenten und mehreren europäischen Staats- und Regierungschefs ausgelöst worden war, über dessen angeblichen Inhalt zuerst die in Washington ansässige internationale Nachrichtenagentur Axios berichtete. Der deutsche Kanzler Friedrich Merz (CDU) soll als Teilnehmer dieser Konferenzschaltung einer der Abgekanzelten gewesen sein.
Trump habe, fasste es Bild in die von ihr gewohnten Worte, »den Europäern vorgeworfen, russisches Öl zu kaufen und so der russischen Kriegsmaschinerie zu helfen«. »Dreht Putin den Geldhahn ab«, forderte daraufhin die Speerspitze der Propagandaabteilung der deutschen »Kriegsertüchtigung« am 7. September und verteilte die Schuld auf beide Seiten: Zwar lasse Trump die von ihm gestellten Ultimaten an Putin verstreichen und habe sich »bislang nicht zu härteren Sanktionen gegen Russland durchringen« können. »Aber die traurige Wahrheit ist, dass Europa selbst munter Milliarden nach Moskau überweist. Auch im vierten Kriegsjahr werden russisches Öl und andere Rohstoffe in die EU importiert. Entweder direkt aus Russland oder über Indien.«
Kern und Anlass dieses Vorwurfs ist, dass Indien, dessen Regierung sich noch vor einigen Monaten wechselnde Optionen zwischen Russland und China einerseits und den USA andererseits offenzuhalten versuchte, zum zweitgrößten Importeur von fossilen Brennstoffen aus Russland geworden ist. Nur China kauft noch mehr. An dritter Stelle liegt die Türkei trotz ihrer Mitgliedschaft in der NATO.
Darauf zielte Trump vermutlich ab, als er am 13. September auf der Website Truth Social, die sich in seinem Besitz befindet, ein Angebot an seine europäischen Kontrahenten postete: »Ich bin bereit, größere Sanktionen gegen Russland zu verhängen, wenn alle NATO-Staaten zugestimmt und begonnen haben, das Gleiche zu tun, und wenn alle NATO-Staaten aufgehört haben, Öl von Russland zu kaufen.«
Der Anteil von russischem Erdöl an Indiens Energieeinfuhren liegt nach Abschluss neuer Lieferverträge bei rund einem Drittel. Weil Russland aufgrund der westlichen Sanktionen Abschläge in Kauf nehmen muss, liegen seine Ölpreise um mindestens drei bis vier US-Dollar pro Barrel niedriger als die der Konkurrenten. Trump wirft Indien vor, erheblich mehr russisches Erdöl zu importieren, als es selbst verbraucht, um als Wiederverkäufer und als Exporteur von Ölprodukten große Gewinne zu machen. Anfang August kündigte Trump an, den Zollsatz auf Importe aus Indien »sehr deutlich« über den derzeitigen Satz von 25 Prozent hinaus zu erhöhen.
Als Reaktion auf Trumps Manöver hat Ursula von der Leyen am Dienstag angekündigt, dass die EU-Kommission »bald« ihr 19. Sanktionspaket in Kraft setzen werde, dass die »Finanzierung des Blutvergießens in der Ukraine« beenden solle. Der Zeitplan der Union für den vollständigen Ausstieg aus dem Import von fossilen Energieträgern aus Russland solle beschleunigt werden. Eine gemeinsame Antwort auf Trumps Beschwerden über die Käufe in Indien scheint die EU bisher nicht bereitzuhalten.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. September 2025 um 21:53 Uhr)Was tut Russland im Inneren, um aus der Rohstoffexportfalle zu kommen? Der Volksmund kolportiert ja, die SU sei (u. a.) daran gescheitert. Was hat »Putin« daraus gelernt? Wie es scheint, muss er keine Flügel mehr an deutsche Waschmaschinen kleben, um sie als Drohnen nutzen zu können. Gibt es ähnliche Entwicklungen auch im zivilen Bereich?
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