Aus Leserbriefen an die Redaktion

Auf breiten Schultern
Zu jW vom 9.9.: Zumutungsgerechtigkeit wagen
»Geben ist seliger denn nehmen«, besagt schon ein alter Bibelspruch. Das Grundgesetz verlangt, dass breitere Schultern mehr tragen sollen. Recht hat die ehemalige Cum-Ex-Chefanklägerin Anne Brorhilker, dass scheinbar auch Noch-SPD-Vizekanzler und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil und Noch-CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz auf bis zu 40 Milliarden Euro geraubter Steuern verzichten wollen, statt diese von großen und kleinen Banken zurückzuholen. Das Geld liegt auf der Straße, Mann/Frau braucht es nur aufzuheben! Seit Mitte der letzten Legislaturperiode von der damaligen CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel steht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe noch zur Erledigung durch Bundestag und Bundesrat an: die Besteuerung von Kapitalerträgen mit bis zu 42 Prozent statt verfassungswidrigen 25 Prozent. Wann erledigen Klingbeil und Merz hier endlich ihren Job gemäß unserer Verfassung und ihrem Amtseid? Eine gerechte Sozialpolitik, die gemäß Grundgesetz durch eine gerechte Steuerpolitik finanziert werden soll, ist für die heutige Mini-Groko scheinbar nur ein populistisches Fremdwort. Hier müssen scheinbar die Jusos in der kleinsten SPD-Bundestagsfraktion aller Zeiten Klingbeil erst mal wieder die Leviten lesen. Eine zeitgeschichtliche Anmerkung: Da mit der ersten »rot-grünen« Bundesregierung unter Gerhard Schröder ab 1998 der Spitzensteuersatz von 49 Prozent auf 42 Prozent gesenkt wurde, geht es den mündigen Bürgerinnen und Bürgern um Steuergerechtigkeit. Das deutsche Steuersystem ist bis zum heutigen Tage nicht verfassungskonform reformiert. Dazu gehören auch die Erbschaftssteuer und Vermögensteuer, Steuerflucht und Schwarzgeldgeschäfte. Ein handlungsfähiger Staat muss zusätzliche Steuereinnahmen auch für Investitionen in den sozialen Wohnungsbau, in den Erhalt von Schienen, Straßen, öffentlichen Gebäuden, ÖPNV sowie schnelles Internet auch im ländlichen Raum verwenden. Ansonsten werden immer mehr Menschen vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten. Solche Investitionen gibt es keinesfalls zum Nulltarif, sondern es wären Investitionen, die allen Bürgern zugute kommen. Da wir nicht auf der »Insel der Glückseligen« leben, muss man deutlich feststellen, dass der Staat eindeutig kein »Ausgabenproblem«, sondern ein »Einnahmeproblem« hat. Darüber sollten Politiker aller Fraktionen erst einmal nachdenken und den Bürgern nicht weiteren Sand in die Augen streuen und Wünsche wecken, die weder verfassungskonform noch finanzierbar sind.
Jürgen Lewin, Bremen
Neues Format
Zu jW vom 1.9.: »BRD-Kernbranche in Abwärtsspirale«
Mit hoher Verspätung soll eigentlich die Konversion der Autobranche einsetzen. »Neue Technologiefelder erschließen« klingt ja zur Abwechslung mal innovativ. Allerdings diskutierten Arbeiter:innen in der britischen Autoindustrie schon in den 1970er Jahren (!), was denn anstelle von Autos Sinnvolleres produziert werden könne. Spontan fallen mir dazu Omnibusse ein, in welcher Sparte hierzulande u. a. Mercedes-Benz eine gewisse Rolle spielt – und bei denen diverse technische Formen für die Umstellung auf Elektrobusverkehr durchaus noch umfangreiche Innovation teils bereits existierender Formen (z. B. mit Akku und Stromabnehmer, der zur ortsfesten Stromaufnahme dient) erfordern. Nur zu! Aber das flächenzehrende, ineffiziente, alles blockierende Pkw-Format, abgesehen für Spezialzwecke? Viel, viel weniger davon, bitte – dann würde ich auch als Fahrgast im Linienbus nicht durch Dutzende sinnloser Privat-Pkw blockiert! Übrigens: Die Schweiz und Dänemark haben keine inländische Autoindustrie – und mit Abstand bessere Personenbahnen: Kann das am Lobbyismus liegen? Auch die Stadt Bochum gewann seit Opels Schließung atmosphärisch: Unis statt Autos!
Bernhard May, Wuppertal
Befehle ausgeführt
Zu jW vom 5.9.: ›Lügenkampagne‹ gegen Sozialstaat
Geballt haben Merz und Co. im Verbund mit Followern wie Fratzscher (DIW) und Grimm (»Wirtschaftsweise«) landauf, landab die BDI/BDA-Order vom »nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat« verbreitet. Anfang September musste das Statistische Bundesamt auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Bartsch bestätigen: Tatsächlich lag der Anteil, den der Bund 2024 bezogen auf das BIP insgesamt für »soziale Sicherung« aufbrachte, zwei Prozent niedriger als im Jahr 2000. Die Ausgaben für das Gesundheitswesen sind beim entsprechenden Vergleich sogar um 4,8 Prozent gesunken. Ähnlich bei der Rente, auch im 50-Jahres-Vergleich: In den 1970er Jahren seien auf eine Person im Ruhestand noch sechs Beitragszahlende gekommen, heute unter drei, 2050 zwei. Die Rentenausgaben liegen aber weiterhin bei 9,3 Prozent des sogenannten Bruttoinlandsprodukts (BIP), weil die Produktivität in fünf Jahrzehnten um ein Vielfaches gestiegen ist. 1970 lag das Pro-Kopf-BIP (umgerechnet) bei 2.750, heute bei 50.800 Euro (dem 18,5fachen). Preisbereinigt liegt die Wirtschaftsleistung damit amtlich 14,5mal so hoch wie damals. Die Spaltungsversuche, die heute Arbeitenden auf die ehemaligen Beschäftigten zu hetzen, gehen natürlich trotzdem weiter, von wegen eine Person in Rente sei gegenüber drei oder zwei Beitragszahlenden angeblich »nicht mehr bezahlbar«. Schließlich müssen in der »Zeitenwende« für Kriegstüchtigkeit eine Billion aus den Menschen gepresst und die Konzerne und Reichen weiter gepäppelt werden – wenn dies zugelassen wird.
Martin Hornung, Eppelheim
Die Schweiz und Dänemark haben keine inländische Autoindustrie – und mit Abstand bessere Personenbahnen: Kann das am Lobbyismus liegen? Auch die Stadt Bochum gewann seit Opels Schließung atmosphärisch: Unis statt Autos!
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