Einzugsfertig
Von Hagen Bonn
Hallo Paps,
Meldung von der Kaltfront: Hier tut man endlich etwas gegen die Drückeberger. Mann, bin ich aufgeregt, die Pläne für den »neuen Wehrdienst« stehen! Du weißt, ich kann es kaum erwarten, in eine »einsatzbereite, kaltstartfähige und durchhaltefähige« Einheit gezogen zu werden. Im Ernst, so steht es im Gesetzentwurf. Hat uns die Sozialkundelehrerin vorgelesen. Klar, vorerst werden unsere Werte noch in der Ukraine verteidigt, aber wir beide wissen es besser, oder? Der Iwan will wieder auf Fotosafari. Brandenburger Tor, Reichstag und dann bis Paris, wie einst olle Atze. Aber die schnittigen Bilder vor dem Eiffelturm werde ich zu verhindern helfen. Echt!
Deswegen war auch ein Hauptmann der Bundeswehr bei uns in der Klasse. Zuerst ging es um »Fragen der Friedenssicherung«, weil wir seit Jahren hybrid angegriffen werden. Panzer mit Hybridantrieb? Wäre es da nicht schlau und nachhaltig, mit einem Elektro-»Leopard«-2 zu kontern? Dann zeigte man uns einen Bundeswehr-Werbefilm. Voll schlapp. Da hat mir »Rambo« mehr beigebracht. Du weißt schon, diese fiesen Speerfallen. Ich fragte den »Jugendoffizier« nach seinem G 36, die Dienstwumme. Der hatte keine dabei! Stell dir vor, jeder Noch-nicht-Abgeschobene hätte den mit’m Apfelschälmesser drankriegen können. Boah, wie leichtsinnig.
Dann sprach der Unbewaffnete die Mädchen an, wie wichtig es sei, dass auch sie »Verantwortung« übernähmen. Ich dachte, der ulkt und klatscht sich gleich lachend auf die Oberschenkel. Aber dann fiel mir selbst Wäsche, Küche, Krankenschwester ein. Eine fragte aufmüpfig: Was wäre, wenn man fürs Vaterland falle, also klatsch und aus? Stille im Raum. Frau Sozialkunde hüstelte. Der Hauptmann stand auf, nickte ernst und nahm seine Hände nach vorn. Die Fingerspitzen berührten sich, und er sagte mit der Stimme unseres Pfarrers (ob die sich kennen?), dies sei … »geregelt«. Du, so schnell konnte ich gar nicht mitschreiben: Sterbegeld, Witwengeld, Waisengeld, Rentenversicherungsgeld und Soldatenversorgungsdingsda.
Wow, meinte olle Chrisi, meine Eltern sind glatt saniert, wenn ich vor Moskau hopsgehe. Was haben wir gefeiert. Sogar der Hauptmann musste sich Tränen aus den Augen wischen. Dann wurde er ernst und meinte, es sterben nicht mehr so viele Soldaten wie einst, weil der »Körperschutz« der Kameraden zuverlässig funktioniere. Und das sei kein Wunder, denn die Ausrüstung eines »Frontschweins« (dieses Mal lachte er allein) koste zwischen 15.000 und 50.000 Euro. Deswegen, Papa, sind Bundeswehrkrankenhäuser so wichtig. Wenn halt ein Bein oder der Arm flötengehen.
Schon waren wir bei der Ersatzteilfrage. Prothesen und so. Die Powerpoint-Seite zeigte gestochen scharfe – äh … – Bilder. Die meisten von uns sahen nicht mehr hin. Es klingelte auch zur Pause. Ich las wohl als einziger die Bildunterschrift: »Die häufigsten Probleme umfassen Volumenschwankungen des Stumpfes, Hautirritationen bis hin zu Ulzerationen sowie ein generell schlechter Tragekomfort.«
Dein Sohnemann
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