Wir müssen lernen, Kollegen, wir müssen lernen

Der Informationsdienst Labournet veröffentlichte am Sonntag eine Rede, die Lars Hirsekorn, Mitglied des Betriebsrates bei VW in Braunschweig, am 2. September auf einer Betriebsversammlung gehalten hat:
(…) Als die realsozialistischen Staaten in Osteuropa zusammengebrochen sind, haben die Aktionäre sehr schnell ein Erpressungspotential erkannt. »Entweder ihr arbeitet wieder regelmäßig am Wochenende, oder wir verlagern die Produktion nach Osteuropa.« Mit dieser erhöhten Flexibilität unserer Arbeitskraft und der Verlängerung der Maschinenlaufzeiten sollten die satten Profite von Piëch, Porsche und Co. nicht nur gesichert, sondern auch vermehrt werden.
Und wir? – Wir haben nachgegeben. Spätestens nach dieser Erpressung hätten wir doch eigentlich anfangen müssen, zweimal im Jahr mit einem Bus voll Kolleginnen und Kollegen nach Polen, Tschechien und Ungarn zu fahren und die gemeinsame Debatte zu suchen. (…)
Was haben wir gemacht? – Wir haben der Samstagsarbeit zugestimmt und auf den Standort gesetzt. (…)
Anfang der 2000er war dann wieder einmal der Gewinn nicht hoch genug. »Wir wollen die Logistik, die Küche und Montage ausgliedern«, riefen die Aktionäre. »Entweder ihr stimmt zu, oder wir verlagern alles nach Osteuropa.«
Und wir? Wir haben auf den Standort gesetzt und einem ganzen Teil der Ausgliederungen in niedrige Tarife zugesehen. (…)
Und 2024? Wieder war den Damen und Herren Aktionären ihr Profit zu schmal. Und wieder kam die alte Leier (…).
Und jetzt? Wir haben auf Lohn verzichtet, haben die Arbeitszeit verlängert und unser Antrag auf Bildungsurlaub wird jetzt in Polen bearbeitet.
Wir müssen lernen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen verdammt noch einmal lernen.
Die Weltmärkte der Automobilindustrie sind gesättigt. Egal, ob in China, Europa oder den USA, überall stehen Hunderttausende Autos unverkauft rum und bedrohen die Dividenden der Aktionäre. Schon seit Jahren wissen die Familien Piëch, Porsche, Quandt und Musk nicht mehr, wie sie ihre Milliarden noch gewinnbringend anlegen sollen. (…)
Und jetzt haben sie eine neue Anlagemöglichkeit entdeckt (…). Die Familie Porsche möchte wieder Waffen produzieren, weil sich das lohnt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nicht weil sie die Demokratie in ihren Betrieben verteidigen wollen oder weil sie sich um das Wohl ihrer Arbeiter sorgen, nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es soll sich lohnen, es soll Profit dabei herausspringen. (…)
Wir müssen lernen – liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen lernen. (…)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in einer Gesellschaft, die zielstrebig auf einen neuen großen Krieg zusteuert. (…) Es geht auch heute nicht um Menschenwürde oder Demokratie. Weder in der Ukraine, dem Kongo oder in Palästina! Es geht um Rohstoffe, Profit und Macht. (…)
Die Aktionäre werden ihre Kinder nicht auf dem Schlachtfeld opfern. (…)Und das Sondervermögen Rüstung, so heißen heute die Kriegskredite, werden wir bezahlen, nicht Musk, nicht Porsche, nicht Thyssen-Krupp.
Auch heute gibt es leider wieder Stimmen in unseren Gewerkschaften, aber auch in der Belegschaft, die die Kriegskredite unterstützen und sich über die gutbezahlten Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie freuen.
Wir müssen lernen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen schnell lernen. (…)
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