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Aus: Ausgabe vom 13.09.2025, Seite 7 / Ausland
Norwegen

Alter Kanzler startet neue Gespräche

Parlamentswahl in Norwegen: Sozialdemokraten stärkste Kraft, rechte Fortschrittspartei legt stark zu
Von Holger Pötzsch, Tromsø
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Am Sonntag und Montag haben in Norwegen Parlamentswahlen stattgefunden. Die Wahlbeteiligung war mit 79,9 Prozent so hoch wie schon lange nicht mehr. Was stand auf dem Spiel? In der norwegischen Politik stehen sich traditionell zwei Lager gegenüber. Auf der einen Seite die sogenannten Bürgerlichen – bestehend aus der Zentrum-rechts-Partei Høyre, der liberalen Venstre, den Christdemokraten und der rechten Fortschrittspartei – und auf der anderen Seite die Linken, denen die sozialdemokratische Arbeiterpartei, die Zentrumspartei, die sozialistische Linkspartei, die Grünen, sowie das Linksbündnis Rødt zuzurechnen sind. Der bürgerliche Block wurde bisher von Høyre, der linke Block von der Arbeiterpartei angeführt.

Zentrale Bruchlinien norwegischer Politik sind Privatisierung, Arbeitnehmerrechte, soziale Sicherung, ökologische Umstellung, Ölförderung, sowie der Völkermord in Gaza. Im Gegensatz zu Deutschland wird die Politik Israels gegenüber den Palästinensern von Führungskräften fast aller Parteien kritisiert. Ausnahmen sind die Christdemokraten und die Fortschrittspartei. Einzig bei Fragen von Militarisierung und Aufrüstung sind sich in Norwegen von rechter Fortschrittspartei bis Linksbündnis Rødt scheinbar alle einig. Hier ist die neu gegründete Partei Fred og Rettferdighet (Frieden und Gerechtigkeit) die einzige, die gegen einen höheren Verteidigungshaushalt und weitere Finanzierung des Krieges in der Ukraine eintrat. Deren Spitzenkandidat, der Universitätsprofessor Glenn Diesen, wurde im Wahlkampf derart hart und auch persönlich angegriffen, dass er sich gezwungen sah, sich aus der öffentlichen Debatte zurückzuziehen. Seine Partei kam auf 0,3 Prozent.

Das Wahlergebnis brachte starke Verluste der Zentrumspartei, die 7,9 Prozentpunkte verlor und bei mageren 5,6 Prozent endete. Auch die Høyre musste Einbußen hinnehmen und schaffte es, lediglich 14,6 Prozent der Wahlberechtigten zu überzeugen. Rein zahlenmäßig gewann die Arbeiterpartei mit 28 Prozent. Der eigentliche Sieger ist jedoch die Fortschrittspartei. Politisch am rechten Flügel angesiedelt und im Wahlkampf weder vor persönlichen Angriffen noch Halbwahrheiten zurückschreckend, konnte die Partei ein knappes Viertel der Wähler überzeugen. Sie gewann zwölf Prozentpunkte hinzu und erreichte 23,8 Prozent. Damit ist sie klar führende Kraft im bürgerlichen Lager Norwegens. Abgesehen von den Liberalen schafften es auch alle kleineren Parteien über die Vierprozenthürde.

Die Ergebnisse zeigen zudem eine vertiefte Kluft unter den norwegischen Wählern – während sich eine klare Mehrheit junger Männer der rechten Fortschrittspartei zuwandte, stimmten junge Frauen überwiegend links von Arbeiterpartei und Zentrumspartei ab. Auch regional gibt es deutliche Unterschiede. Der Norden Norwegens ist roter als der Rest des Landes, der Südwesten stark christlich konservativ. Ländliche Gebiete stimmten bisher zumeist für die Zentrumspartei, wendeten sich diesmal aber verstärkt der Fortschrittspartei zu. In Städten sind besonders die Grünen, die Liberalen, die sozialistische Linkspartei sowie Rødt stark.

Wie geht es jetzt weiter? Technisch gesehen hat das linke Lager eine knappe Parlamentsmehrheit von 88 gegenüber 81 Mandaten. Eine Koalition aus allen diesem Lager zugeordneten Parteien ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Dazu sind die Programme und politischen Ausrichtungen zu unterschiedlich. Das gilt besonders für die Zentrumspartei, die Grünen und das Linksbündnis Rødt. Gespräche hat der bisherige und wahrscheinlich neue Kanzler Jonas Gahr Støre der Arbeiterpartei dennoch begonnen. Am wahrscheinlichsten ist eine erneute Minderheitsregierung unter Führung der Arbeiterpartei, die sich je nach politischer Problemstellung unterschiedliche Mehrheiten suchen kann. Dies würde vor allem dem rechten, auf EU-Integration, NATO, Ölförderung und Industriefreundlichkeit ausgerichteten Flügel der Partei gut passen. Eine mögliche, aber nicht sehr wahrscheinliche Alternative ist, dass die Zentrumspartei ins rechte Lager überwechselt und damit einer Koalition unter Führung der Fortschrittspartei eine Mehrheit sichert.

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