Ministerpräsident a. D. sagt ade
Von Nico Popp
Der langjährige Thüringer FDP-Chef Thomas Kemmerich ist am Freitag aus der Partei ausgetreten. Ein entsprechendes Schreiben mit dem Briefkopf »Ministerpräsident a. D.«, gerichtet an den Parteivorsitzenden Christian Dürr, veröffentlichte Kemmerich auf der Plattform X. Darin heißt es, er sei nach annähernd 20 Jahren Mitgliedschaft in der FDP zu der Überzeugung gelangt, »dass sich meine Vorstellungen von der Zukunft unseres Landes und die inhaltliche Ausrichtung der Partei auseinanderentwickelt haben«. Der Vorsitz der Thüringer FDP ist damit vakant. Der stellvertretende Landesvorsitzende Gerald Ullrich erklärte ebenfalls via X, er könne Kemmerichs Austritt nachvollziehen. Er wollte noch am Freitag zurücktreten.
Der aus Aachen stammende und seit Anfang der 90er Jahre in Thüringen lebende Friseurunternehmer Kemmerich war seit 2015 Landesvorsitzender der Thüringer FDP – und damit länger im Amt als alle seine Vorgänger seit 1990. Er stand immer für einen rechtsliberal-neoliberalen Ansatz, der in dem von gewerkschafts- und sozialstaatsfeindlichen Unternehmern geprägten Landesverband überwiegend geteilt wird. Ullrich etwa stimmte 2022 im Bundestag als einziger Abgeordneter der damaligen Ampelkoalition gegen die Erhöhung des Mindestlohns.
Kemmerich war im Februar 2020 über Nacht ins bundespolitische Rampenlicht gerückt, als er im Landtag mit den Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde und die Wahl anschließend auch annahm. Das nicht nur von der AfD herbeigesehnte »Bürgerblock«-Szenario war nur von kurzer Dauer: Kemmerich trat angesichts des Drucks aus Berlin nach drei Tagen zurück, ohne Minister ernannt zu haben.
In Thüringen hat die FDP seither den größeren Teil ihrer immer schon recht überschaubaren Wählerschaft an AfD und CDU verloren. Im September 2024 ist die Partei bei der Landtagswahl auf einen Stimmenanteil von nur noch 1,1 Prozent abgerutscht, nachdem sie 2019 noch um Haaresbreite über der Fünfprozentmarke gelandet war. Trotzdem war Kemmerich bis zuletzt als Landesvorsitzender einigermaßen unangefochten. Auch der Umstand, dass die Bundes-FDP ab 2020 auf Distanz zu Kemmerich ging – 2024 verweigerte die Bundespartei einen Zuschuss für den Landtagswahlkampf –, brachte seine Position nicht ins Wanken.
Auch das zeigt im nachhinein noch einmal, dass Kemmerichs Wahl mit den Stimmen der AfD kein voraussetzungsloser »Ausrutscher« war: Die inhaltlichen Überschneidungen zwischen einer FDP der Marke Kemmerich und der AfD sind da, und im Thüringer FDP-Landesverband wäre eine Zusammenarbeit mit der AfD ziemlich sicher bis heute mehrheitsfähig. Ullrich nutzte am Freitag die Gelegenheit, um noch einmal über die »erzwungene Rücknahme« der »demokratisch legitimierten Wahl« von 2020 zu lamentieren.
Kemmerich will seinen Parteiaustritt allem Anschein nach als demonstrative Absage an die »Neuaufstellung« der Bundes-FDP unter Dürr verstanden wissen. Zuletzt hatte sich Kemmerich mit der ehemaligen AfD-Chefin Frauke Petry getroffen, die wie andere Akteure auch seit Jahren erfolglos versucht, ein lupenreines neoliberales Parteiprojekt zwischen AfD und Union zu etablieren. Dürr reagierte am Freitag schmallippig auf den Austritt Kemmerichs. Die FDP wolle »eine starke freiheitliche Reformpartei sein und kein Nischenangebot«; dass Kemmerich »diesen Weg nicht mitgehen wollte, respektiere ich«.
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