Mobil gegen Mobilmachung
Von Arnold Schölzel
An diesem Sonnabend beginnt um 14 Uhr in Berlin am Brandenburger Tor die Kundgebung »Stoppt den Völkermord in Gaza! Keine Waffen in Kriegsgebiete! Frieden statt Wettrüsten!«. Sie ist der Auftakt zu einer Reihe von Demonstrationen an vielen Orten der Bundesrepublik in den kommenden Wochen, die am 3. Oktober in den beiden Großkundgebungen in Berlin und Stuttgart ihren größten Umfang erreichen sollen. Ist die Friedensbewegung wieder da?
Am 7. September registrierte die Initiative »Nie wieder Krieg – die Waffen nieder!«, die schon vor einem knappen Jahr, am 3. Oktober 2024, mehr als 40.000 Menschen zur Großdemonstration in Berlin gebracht hatte, 77.717 Unterschriften unter den »Berliner Appell«, der sich gegen die ab 2026 geplante Stationierung von US-Raketen in Deutschland richtet. Noch zuwenig, denn er hat an Gültigkeit nichts eingebüßt.
Im Gegenteil. Zur Erinnerung: Wenige Tage, bevor der am 23. Februar gewählte Bundestag zusammentrat, wurde am 18. März im abgewählten Parlament die Lockerung der »Schuldenbremse« für Kreditaufnahmen zur Aufrüstung von 512 Abgeordneten aus CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie FDP und AfD durchgepeitscht. Seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 hat kein deutsches Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit Kriegskredite in diesem Umfang bewilligt. Das zugleich auf den Weg gebrachte Sondervermögen für die Sanierung der Infrastruktur ist Garnitur. Das Hochfahren der deutschen Rüstungsindustrie durch Staatsverschuldung hat bisher nicht das Wirtschaftswachstum, sondern nur die Aktienkurse der deutschen Waffenschmieden nach oben getrieben. Im Juni 2025 verpflichtete sich die Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel in Den Haag zudem, insgesamt fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts für das Militär aufzuwenden. Das bedeutet eine Aufstockung des Bundeswehr-Etats auf weit über 200 Milliarden Euro – fast die Hälfte des heutigen Bundeshaushalts.
Der Präsident des Ifo-Instituts München, Clemens Fuest, hatte bereits im Februar 2024 erläutert, worum es dabei sozial – es lässt sich auch sagen: im Klassenkampf – geht: »Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter.« Der Sozialstaat werde weiter finanziert, »aber er wird halt kleiner ausfallen«.
Die schuldenfinanzierte Aufblähung des Rüstungssektors verbindet die seit Mai amtierende Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD nicht anders als die abgehalfterte »Ampel« mit dem Versuch, die Gesellschaft umfassend kriegstüchtig zu machen. Der reaktionär-militaristische Staatsumbau und polizeiliches Einprügeln auf Kriegsgegner, verschärfte Repression überhaupt, stehen dabei obenan. Hunderte Bürgermeister und Landräte wurden, wie im August mitgeteilt wurde, von Bundeswehroffizieren aufgesucht, um über Kriegsvorbereitungen zu beraten. Grundlage ist der geheime »Operationsplan Deutschland«, für dessen Durchsetzung im April 2024 das »Operative Führungskommando der Bundeswehr« gebildet wurde. Am 9. April 2025 fand in Berlin dessen »Aufstellungsappell« statt.
Zum Umbau von Staat und Gesellschaft gehört auch die seit längerem laufende Militarisierung des Gesundheitswesens. Am Donnerstag startete die Organisation »Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzt*innen in sozialer Verantwortung« (IPPNW) dagegen eine Kampagne. Wichtiger Bestandteil ist eine Erklärung für ein ziviles Gesundheitswesen, zu der sich Beschäftigte aus Gesundheitsberufen öffentlich bekennen können. Sie beginnt mit den Worten: »Die Prävention von Kriegen, ob konventionell oder nuklear, ist die beste Medizin. Ich halte alle Maßnahmen und Vorkehrungen für gefährlich, die auf das Verhalten im Kriegsfall vorbereiten sollen. Nur kriegspräventive Maßnahmen kann ich vertreten. Ich lehne deshalb als Beschäftigte/Beschäftigter im Gesundheitswesen jede Schulung oder Fortbildung in Kriegsmedizin ab und werde mich daran nicht aktiv beteiligen.«
Auf Verweigerung, wenn auch oft nur passive, stößt die Kriegspolitik immer wieder in der Bevölkerung. Im März platzte zum Beispiel dem Chef des Bundeswehr-Landeskommandos Baden-Württemberg, Kapitän zur See Michael Giss, der Kragen: »Wahnsinnig viele Bevölkerungsteile« seien »völlig in der Friedensdividende verhaftet«. Sie sollten endlich von der »Vollkaskodenke« wegkommen. Im Juni ergab allerdings eine Forsa-Umfrage für RTL/NTV, dass angeblich 70 Prozent für die geplante Erhöhung der Rüstungsausgaben sind. Auch die Wiederherstellung der Wehrpflicht befürwortet in Umfragen regelmäßig eine Mehrheit, allerdings nicht in den Jahrgängen bis 49 Jahre.
Wer für den »Berliner Appell« Unterschriften sammelt, bewegt sich in einem entsprechend schwierigen Umfeld. Dabei lenkt schon dessen Überschrift den Blick auf den entscheidenden Punkt: »Gegen neue Mittelstreckenraketen und für eine friedliche Welt.« Sein Inhalt macht die Gefährlichkeit der Lage heute so deutlich wie vor einem Jahr: »Wir leben im gefährlichsten Jahrzehnt seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Gefahr, in einen atomaren Abgrund zu taumeln oder durch einen konventionellen Krieg umzukommen, ist real.«
Bis zum 3. Oktober finden an vielen Orten Friedensaktionen statt. Hier seien nur die Kundgebung am 20. September in Grafenwöhr, einem voraussichtlichen Stationierungsort für neue US-Raketen, und die in Berlin am 27. September, »All Eyes on Gaza – Stoppt den Genozid!«, genannt. Die Daten besagen: Noch sind die deutschen Kriegsgegner nicht koordiniert. Der 3. Oktober sollte zeigen: Es geht. Die Friedensbewegung ist wieder da.
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Leserbrief von Patrick Büttner aus Leipzig (13. September 2025 um 09:38 Uhr)»Die Armee ist Hauptzweck des Staats, ist Selbstzweck geworden; die Völker sind nur noch dazu da, die Soldaten zu liefern und zu ernähren. Der Militarismus beherrscht und verschlingt Europa. Aber dieser Militarismus trägt auch den Keim seines eignen Untergangs in sich«, schrieb Engels im Anti-Dühring und beruhigt gewissermaßen die Gemüter. »Die Konkurrenz der einzelnen Staaten untereinander zwingt sie einerseits, jedes Jahr mehr Geld auf Armee, Flotte, Geschütze etc. zu verwenden, also den finanziellen Zusammenbruch mehr und mehr zu beschleunigen; andrerseits mit der allgemeinen Dienstpflicht mehr und mehr Ernst, und damit schließlich das ganze Volk mit dem Waffengebrauch vertraut zu machen; es also zu befähigen, in einem gewissen Moment seinen Willen gegenüber der kommandierenden Militärherrlichkeit durchzusetzen. Und dieser Moment tritt ein, sobald die Masse des Volks - ländliche und städtische Arbeiter und Bauern - einen Willen hat.« Man könnte also auch sagen: Kommt die Wehrpflicht zu uns, kommen wir in eure Kasernen!