Zerissenes Land
Von Tom Beier, San Salvador
Was für ein Land. Wie aus einem dystopischen Roman. Kommt man am Flughafen an, begrüßen einen riesige Werbeposter: »The Cliff. El Zunzál« oder »Surf City« suggerieren einen internationalen Tourismushotspot. Fehlte nur noch das Plakat für »Das tollste Gefängnis der Welt: Cecot« – der Hochsicherheitsknast für Bandenmitglieder. Cecot steht für »Zentrum für Inhaftierung von Terroristen«. Guantánamo lässt grüßen. Den »Tollsten Diktator der Welt« kann man samt Gattin ebenfalls gleich bei Ankunft »besuchen«, indem man sich einfach auf einen goldenen Stuhl neben ein Porträt des Präsidentenehepaares setzt. Willkommen im Despotismus, Style 21. Jahrhundert.
Weitere Facetten? Sogenannte »Gefangene des Vertrauens« renovieren Schulen in der Hauptstadt San Salvador. Währenddessen haben die Schüler Digitalunterricht – soweit technisch umsetzbar. Am Tag der Miss-Universe-Wahl, die im renommierten Hotel Camino Real (Der Königsweg) ausgerechnet in El Salvador stattfand, wurden vor dem Eingang zwei Panzer postiert. Glamour trifft Militär.
Ricardo*, der italienisch anmutende Taxista mit Sonnenbrille und Ringelshirt, der uns vom Flughafen San Salvador in unser Gästehaus Casa Mia bringt, ist sich ganz sicher: »Bukele ist ein Segen für El Salvador. Früher musste ich, wenn ich in bestimmte Viertel reinfahren wollte, in der Dunkelheit erst die Warnblinkanlage einschalten. Sonst hätten die mich abgeknallt. Schutzgeld musste ich eh bezahlen. Fünf Dollar pro Tag. Heute ist alles sicher.« »Die«, das waren die Maras, die kriminellen Banden, die die Zivilbevölkerung des kleinen Landes über Jahrzehnte terrorisiert haben.
Das Gros der salvadorianischen Bevölkerung denkt immer noch so. Nayib Bukele ist nach wie vor der populärste Diktator Lateinamerikas, mit Zuspruchsraten von 80 Prozent. Selbst ehemalige kommunistische Kader verraten hinter vorgehaltener Hand, dass sie bei der letzten Wahl für Bukele votiert haben. Julian hat jahrelang eine einst mächtige Gewerkschaft der Beschäftigten in der Kaffeeindustrie mit angeführt. Jetzt ist er umgeschwenkt: »Die haben die Sicherheitslage in den Griff bekommen.« »Auf Kosten Tausender unschuldiger Gefangener?« »Ein Desaster«, sagt Julian.
Silvia ist eine junge Ärztin, die in einer Gendatenbank einer NGO arbeitet, die vom Militär verschleppte Kinder in aller Welt sucht. »Ich Bukele wählen? Niemals. Das ist doch die Fortsetzung der alten Unterdrückung im neuen Gewand.«
In El Salvador kursiert unter den wenigen verbliebenen Systemkritikern ein Witz: In diesem Land gibt es keine Verbrecher mehr. Die sitzen alle im Gefängnis. Und die Verbrecher in der Regierung? Das sind keine Verbrecher, sonst wären sie nicht in der Regierung. Galgenhumor angesichts düsterer Aussichten. Jüngst hat Bukele die Voraussetzungen geschaffen, um unbegrenzt wiedergewählt werden zu können. Der Mann ist gerade einmal 44 Jahre alt.
Medardo, der Taxifahrer des Vertrauens, den uns Silvia genannt hatte und der uns zurück zum Flughafen bringt – ein zurückhaltender, nachdenklicher Mann mit kurz geschorenem Haar –, ist ganz anderer Meinung als sein Kollege Ricardo: »Wir leben nur scheinbar im Frieden. Im verborgenen finden mehr Verbrechen statt als vorher. Dass auf einmal die Gewalt der Maras aufgehört hat, kann doch nur eines bedeuten: Bukele hat mit ihren Bossen einen Deal gemacht, ist selbst Teil des Drogen- und Gewaltmilieus. Die Angehörigen seines ganzen Familienclans hat er auf entscheidende politische Posten gesetzt, um so nicht nur das politische, sondern auch das ökonomische und das Rechtssystem zu kontrollieren. So ist das nun mal im Raubtierkapitalismus: Du willst an die Macht? Dann brauchst du erst mal politischen Einfluss, um an die Fleischtöpfe zu kommen. Bei uns vor allem im Drogen- und Menschenhandel, Finanzsektor, Landbesitz, Tourismus. Der Rest ist dann Beifang oder Blendwerk: Parlamentarismus, Justiz, Polizei, Militär. Wer da nicht mitmacht, den steckst du einfach in den Knast. Sei es wegen Bandenkriminalität oder vermeintlicher Korruption. Du änderst die Verfassung, um deine Wiederwahl zu garantieren. Die Wahlkreise schneidest du so neu zu, dass die Kandidaten deiner ach so demokratischen Partei stets gewinnen.«
Roque Dalton, der große salvadorianische Dichter und Guerillakämpfer (1935–1975), hatte recht in seinem Liebesgedicht an seine Landsleute: Die Salvadorianer sind die traurigsten Menschen der Welt. Auch heute noch – und seine Schwestern und Brüder im Kampf für ein besseres El Salvador.
*Sämtliche Namen wurden zum Schutz der Personen geändert.
Hintergrund: Gefängnisse in El Salvador
Mit dem Fokus auf das Cecot geraten die Haftbedingungen in den anderen Haftanstalten aus dem Blick: Hängematten statt Betten, waschen mit nur fünf Bechern Wasser, Rationierung des Trinkwassers, unverträgliches Essen wie verfaulte oder nicht durchgekochte Bohnen. Die Angehörigen dürfen auch kein Essen schicken oder vorbeibringen. Es gibt keine geregelten Besuchszeiten. Das stammt noch aus der Coronazeit, in der Besuche gänzlich verboten waren. Ein direkter Zugang zu Medikamenten über ein Gefängniskrankenhaus existiert nicht. Als Gefangener geht man ins Knastkrankenhaus undbekommt dort ein Rezept ausgestellt. Das holen die Angehörigen ab und lösen es in einer Apotheke ein, d. h., sie müssen es selbst bezahlen. Die Gefangenen werden oft in andere Gefängnisse verlegt.
Xenia Portillo, die Ehefrau des politischen Gefangenen Deniss Córdoba, ergänzt: Folgen der oben genannten Haftbedingungen sind Depressionen, Unsicherheit, ökonomische Schwierigkeiten für die Familien, weil die Gefangenen oft die Hauptverdiener der Familie waren. Dazu kommen die hohen Kosten, einen Gefangenen zu unterhalten. Oft verlangt der Staat bis zu 25.000 Dollar als Garantie dafür, dass der Gefangene gute Haftbedingungen erhält und nicht verlegt wird.
Manchmal werden Gefangene auch wieder entlassen, weil die Anklage in sich zusammenbricht. Dann wird an einer neuen Anklage gebastelt und die gleiche Person wieder verhaftet. Als Begründung werden immer wieder Korruption und zu starke Kritik an der Regierung angeführt.
Werden mehrere Personen als Gruppe inhaftiert, werden diejenigen, die zur linken politischen Opposition gehören, zu viel höheren Haftstrafen verurteilt als andere. Diese bekommen vielleicht zwei oder drei Jahre, die Linken 18. Deshalb wurde Cofappes (Organisation der Angehörigen politischer Gefangener in El Salvador) gegründet. (tb)
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