Gegründet 1947 Montag, 1. Dezember 2025, Nr. 279
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 16.10.2025, Seite 12 / Thema
Entnazifizierung

»Ein neuer Anfang ist notwendig«

Die Alliierten setzten nach dem Ende des Faschismus auf eine umfassende Entnazifizierung. Aber der Kalte Krieg blockierte eine tiefergehende Auseinandersetzung
Von Ulrich Schneider
12-13.jpg
Die rein äußerlichen Spuren des Faschismus verschwanden recht schnell aus der Öffentlichkeit. Personal und Ideologie aber wurden nur halbherzig demontiert. Aus der Adolf-Hitler-Straße wird die Bahnhofstraße (Trier, 1945)

Den alliierten Siegermächten war klar, dass der Sieg über die nazistische Barbarei am 8. Mai 1945 nur dessen militärische Zerschlagung bedeutete. Für eine grundlegende Entnazifizierung war es notwendig, ehemalige Nazis sowie den Einfluss der Naziideologie auszuschalten und einen politischen Neuanfang zu starten. In den »politischen Grundsätzen für die Besetzung des Deutschen Reiches«, verabschiedet auf der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945, hatten sie sich dazu einen gemeinsamen Handlungsrahmen gegeben.

Schon vor Kriegsende hatten die Alliierten gemeinsam beschlossen, Naziaktivisten und »Suspect Persons« aus dem öffentlichen Leben auszuschalten. Später folgten gemeinsame Festlegungen auf der Potsdamer Konferenz, in den Richtlinien der Londoner Viermächtekonferenz vom 8. August 1945 und mit der Kontrollratsdirektive 38 vom 12. Oktober 1946 über die »Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen«. Als Einrichtungen, die man dazu nutzen wollte, kamen die ehemaligen NS-Haftstätten in Betracht. Eine frühe Meldung zu den geplanten Internierungen findet sich am 19. Mai 1945 in der Hessischen Post, der Zeitung der amerikanischen 12. Heeresgruppe für die deutsche Zivilbevölkerung in Hessen und Thüringen, damals noch US-amerikanisches Besatzungsgebiet. Dort heißt es unter der Überschrift »An das deutsche Volk. Befehle des Obersten alliierten Hauptquartiers« unter der Nummer 4: »Die von den Nationalsozialisten errichteten Konzentrationslager werden unverzüglich übernommen und nach Freilassung der unschuldigen Lager-Insassen als Lager für verhaftete Nationalsozialisten Verwendung finden.«

Internierungslager

Damit wurde festgelegt, dass zum Beispiel Buchenwald, Dachau, Esterwegen, Natzweiler, Neuengamme und Sachsenhausen im Rahmen der alliierten Entnazifizierungspolitik als Internierungslager zu nutzen waren. Als mit dem Wechsel der Besatzungsmacht im Sommer 1945 die sowjetische Militäradministration Thüringen und damit auch Buchenwald übernahm, vollzog diese mit der Errichtung des »Speziallagers 2« Ende August 1945 die alliierte Beschlusslage. Aus heutiger Sicht mag es wenig pietätvoll erscheinen, an dem historischen Ort, an dem mehr als 60.000 Menschen als KZ-Häftlinge ihr Leben gelassen hatten, erneut ein Gefangenenlager zu errichten. Doch muss man bedenken, dass kriegsbedingt wenig andere Möglichkeiten zur Inhaftierung von Nazis vorhanden waren.

Tatsächlich nutzten alle Besatzungsmächte vorhandene Einrichtungen zur Internierung: ehemalige Konzentrationslager, Stalags (Moosburg, Ziegenhain, Hemer) oder Kriegsgefangenenlager der Nazis. In Polen wurde selbst das Stammlager Auschwitz zur Internierung genutzt. Die amerikanische Besatzung internierte Nazis unter anderem im KZ Dachau, um dort den Buchenwald-Prozess gegen den SS-Obergruppenführer Josias Prinz zu Waldeck Pyrmont vorzubereiten. Die Briten benutzten die ehemaligen Emslandlager.

Gleichzeitig überlagerten das Zerbrechen der Antihitlerkoalition und die beginnende Ost-West-Konfrontation schon bald den Umgang mit der Internierung. Wie Eugen Kogon beschrieb, waren in amerikanischen Lagern bis Ende der 1940er Jahre noch »Endsiegparolen« und Hitlergrüße zu hören. »Ein Schuldbewusstsein hatten die wenigsten.« Gleichzeitig wurden in den Westzonen zahllose große Nazis als »Fachleute« unbestraft entlassen und in den politischen und wirtschaftlichen Aufbau der BRD integriert. Im Gegensatz dazu wurde die stringentere Haltung der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) zum Ziel westlicher Kritik. Bald schon wurde die Kritik an den Internierungslagern Teil der Propaganda gegen die Sowjetunion. Mitte 1947 setzte das Büro des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher das Gerücht in die Welt, in Buchenwald würden Sozialdemokraten, die sich gegen die Vereinigung von KPD und SPD zur SED gestellt hätten, gefangengehalten. Berichte entlassener Internierter, die in den Westen gegangen waren, wurden von der Presse ins Phantastische überhöht: Angeblich bekämen Frauen in Buchenwald die Symbole Hammer und Sichel in die Haut eingebrannt, Vergewaltigungen seien an der Tagesordnung und anderes mehr.

Für die alliierten Besatzungsoffiziere, die unmittelbar den Kampftruppen folgten, war es zentral, dass das tägliche Leben wieder in geordnete Bahnen laufen konnte. Zudem musste die Versorgung der Millionen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, die in den befreiten Gebieten verblieben waren, gesichert werden. Klar war, dass faschistische Bürgermeister, Ortsbauernführer und andere NS-Verwaltungen keinen Einfluss mehr haben sollten. Als Vorbereitung hatten die US-amerikanischen Besatzungsoffiziere in ihrem Gepäck für größere Städte und Regionen Namenslisten mit demokratischen Persönlichkeiten, die sie unmittelbar beim Eintreffen mit der Übernahme der Verwaltung und der Organisation des öffentlichen Lebens beauftragten. Diese Namenslisten waren bereits Monate zuvor gemeinsam mit deutschen Nazigegnern im Exil zusammengestellt worden. Zumeist handelte es sich um Persönlichkeiten, die sich in der Weimarer Republik als Demokraten erwiesen hatten. In der britischen Zone versuchten die Besatzungsbehörden, vor allem Vertreter der ehemaligen bürgerlichen Parteien in Amt und Würden zu bringen, während ausgewiesene Antifaschisten verdrängt bzw. ignoriert wurden. Einzig in der Krupp-Stadt Essen wurde im Februar 1946 von den Briten der Kommunist Heinz Renner als Oberbürgermeister eingesetzt, nachdem die US-Amerikaner zuvor den früheren Zentrumspolitiker Hugo Rosendahl mit der Aufgabe betraut hatten. Renners Amtszeit endete jedoch bereits mit der Kommunalwahl im Oktober 1946.

Ähnlich kurz war auch die Amtszeit des Kommunisten Wilhelm Hammann, der als Buchenwald-Häftling nach Groß-Gerau zurückgekehrt war und am 16. Juli 1945 mit Zustimmung der sozialdemokratischen Bürgermeister zum Landrat ernannt wurde. Ganz pragmatisch setzte er sich für die Verbesserung des Alltags der arbeitenden Menschen im Landkreis ein, wobei er besonderes Gewicht auf die Sicherung der Lebensmittelversorgung und die Bekämpfung des Schwarzhandels, die Linderung der Wohnungsnot und die Trümmerbeseitigung sowie – als Lehrer – den Wiederbeginn des Schulunterrichts und die Einrichtung von Abendkursen zur Erwachsenenbildung legte. Obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte, sich zu schonen, war Hammann sich nicht zu schade, selbst Hand anzulegen, um die Trümmer der faschistischen Kriegspolitik zu beseitigen. So rief er alle Bürger zu Wochenendeinsätzen zur Trümmerbeseitigung auf, wobei er als Landrat Fahrzeuge und entsprechende Werkzeuge organisierte. Seine Begründung lautete: »Der Dreck ist immer aller Dreck. Und wir sind mit schuld, weil wir den Dreck ›Nazis‹ nicht beseitigt haben. Lasst uns auf sauberem Grund eine saubere Welt aufbauen.« Diese Haltung brachte ihm großes Ansehen in der Bevölkerung, aber auch Konflikte mit der Besatzungsmacht. Drei Tage, nachdem er am 17. Oktober auch seine formelle Ernennung als Landrat und damit zum »Beamten auf Lebenszeit« erhalten hatte, wurde er von den US-Amerikanern unter fadenscheinigen Vorwürfen verhaftet und seiner Funktion enthoben.

Später konnten sich die Westalliierten bei solchen Maßnahmen auf die Kontrollratsdirektive Nummer 24 vom 12. Januar 1946 zur »Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen« beziehen. Diese Verordnung eröffnete große Spielräume – auch gegen Antifaschisten.

Enteignung der Profiteure

Im Sinne des Schwurs von Buchenwald und der politischen Programme der antifaschistisch-demokratischen Parteien sollten wirtschaftliche Macht und Kapitalzusammenballung zum Zwecke der Einflussnahme auf die Politik grundsätzlich ausgeschaltet werden. Die Vorstellungen deutscher Antifaschisten waren gleich, nur die Wege dorthin abhängig von den Besatzungsmächten.

Nachdem in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zum Zwecke der Reparationszahlungen zahlreiche Großbetriebe bereits unter sowjetische Kontrolle gestellt waren, ging es im nächsten Schritt um die entschädigungslose Enteignung von Großgrundbesitzern, Kriegsverbrechern und aktiven Faschisten. Deren Vermögen sollte zum Wiederaufbau herangezogen werden. Ende 1945 wurde eine Bodenreform durchgeführt (»Junkerland in Bauernland«), in deren Verlauf Großgrundbesitzer mit mehr als 100 Hektar Fläche und Besitzer kleinerer Betriebe, die als Kriegsverbrecher und aktive NSDAP-Mitglieder eingestuft worden waren, entschädigungslos enteignet wurden. Der enteignete Grundbesitz wurde zunächst dem jeweiligen lokalen Bodenfonds übertragen, der eine Neuverteilung vornahm. Nach längerer Debatte wurde im sächsischen Landtag für den 30. Juni 1946 ein Volksentscheid auf den Weg gebracht, um über das »Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes« abzustimmen. Das war die erste Abstimmung in der SBZ und zugleich die erste direktdemokratische Abstimmung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. 77,56 Prozent der Abstimmungsberechtigten stimmten dem Vorschlag zu.

Auch in den Westzonen gab es ähnliche Überlegungen. Der Entwurf der Hessischen Landesverfassung sah im Artikel 41, dem sogenannten Sozialisierungsparagraphen, die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrie vor: Mit Inkrafttreten der Verfassung seien »in Gemeineigentum überführt: der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schienen oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen, vom Staate beaufsichtigt oder verwaltet, die Großbanken und Versicherungsunternehmen und diejenigen in Ziffer 1 genannten Betriebe, deren Sitz nicht in Hessen liegt«. Die US-amerikanische Besatzungsmacht erließ daraufhin die Anweisung, dass über diesen Artikel in der für den 1. Dezember 1946 angesetzten Volksabstimmung gesondert abzustimmen sei. Man hoffte, dass dieser Vorschlag keine Zweidrittelmehrheit erreichen würde, da restaurative Kräfte massiv dagegen Stimmung machten. Das Ergebnis war überwältigend. 76,4 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für die gesamte Verfassung, 72 Prozent unterstützten den Artikel 41.

Gut ein Jahr nach dieser Abstimmung, wurde anhand des Urteils gegen den IG-Farben-Konzern, dessen ehemalige Zentrale in Frankfurt am Main lag, sichtbar, dass die ökonomisch Verantwortlichen für die faschistische Aufrüstung und die Kriegsverbrechen der Nazis seitens der US-Administration mit Samthandschuhen angefasst wurden. Selbst Krupp von Bohlen und Halbach, der im Nachfolgeprozess 1948 noch wegen Sklavenarbeit und Plünderung von Wirtschaftsgütern in den besetzten Gebieten zu langjähriger Haft und Einziehung seines Vermögens verurteilt worden war, wurde am 31. Januar 1951 durch den US-amerikanischen Hochkommissar begnadigt und aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Wenig später verfügte er wieder über sein Unternehmen.

Mitläuferfabriken

Nachdem die Ausschaltung von aktiven Nazis in den ersten Wochen und Monaten nach den Einschätzungen der jeweiligen Besatzungsmächte vollzogen wurde und erst mit der Kontrollratsdirektive Nummer 24 vom 12. Januar 1946 eine gewisse Ordnung bekam, versuchte die US-amerikanische Besatzungsmacht einen Weg zu finden, wie man mit den mehreren Millionen Mitgliedern und Anhängern der faschistischen Organisationen umgehen könne. Als Handlungsanweisung wurde vom Länderrat der US-amerikanischen Zone das »Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus« vom 5. März 1946 als Gesetz Nummer 104 verabschiedet. Es sollte alle Deutschen, die das NS-Regime gefördert hatten, von der Einflussnahme auf das öffentliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben ausschließen und zur Wiedergutmachung verpflichten. Zur gerechten Beurteilung der Verantwortlichkeit und zur Heranziehung zu Sühnemaßnahmen wurden folgende Gruppen gebildet: 1. Hauptschuldige, 2. Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer), 3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe), 4. Mitläufer und 5. Entlastete.

Alle Deutschen über 18 Jahren mussten einen Fragebogen ausfüllen und darin angeben, ob sie Mitglied der NSDAP, einer ihrer Gliederungen oder angeschlossenen Verbände gewesen waren, sowie Angaben zu ihrer beruflichen und finanziellen Situation machen. Verweigerung oder falsche Angaben waren unter Strafe gestellt. Anschließend wurden diese Fragebögen durch sogenannte Spruchkammern, die mit antifaschistisch eingestellten Deutschen besetzt waren, überprüft und festgestellt, wer in welche Gruppe gehört und welche Sühnemaßnahme zu leisten sei, wobei sich die Alliierten die Entscheidungen über Hauptschuldige und Belastete vorbehielten. Tatsächlich sollte es in diesem Verfahren ja nicht mehr um die Hauptkriegsverbrecher gehen, gegen die das Nürnberger Hauptkriegsverbrechertribunal vom Herbst 1945 und die Nachfolgeprozesse bereits Urteile gefällt bzw. Verfahren eröffnet hatten.

Das Verfahren wurde ab Mitte 1946 auch in der britischen und französischen Besatzungszone übernommen. In der SBZ blieb die Gesamtverantwortung für die Ausschaltung von NS-Anhängern bis zum Ende in der Verantwortung der sowjetischen Besatzungsmacht.

Die Tätigkeit der Spruchkammern in den Westzonen war von Anfang an umstritten. Schon im Mai 1947 kam es zu ernsthaften Diskussionen zwischen den KPD-Vertretern und der britischen Kommandantur. Die Kommunisten protestierten beispielsweise in Duisburg dagegen, dass erstens die Entnazifizierung nicht konsequent genug betrieben werde, dass zweitens den Kammern die Verantwortung für alle die Fälle entzogen würde, die politisch vor Ort entscheidend seien, nämlich die Belasteten und Schwerbelasteten und die Industrievertreter, und drittens dass in der Zusammensetzung des »Entnazifizierungsausschusses« durch die Beschränkung auf Parteien eine wichtige gesellschaftliche Institution fehlen würde, nämlich die Gewerkschaften. Im Mai 1947 versprach die britische Kommandantur noch, diese Forderungen wohlwollend zu prüfen. Doch im Laufe der Zeit – vor dem Hintergrund des grundsätzlichen Wandels der britischen Entnazifizierungspolitik – wurden diese Forderungen torpediert bzw. ignoriert. So blieb den KPD-Vertretern im Entnazifizierungsausschuss keine andere politische Alternative, als im September 1948 endgültig ihre Mitarbeit in diesem Gremium einzustellen.

Die Bilanz der Spruchkammern war ernüchternd: In die beiden ersten Kategorien wurden lediglich 0,7 Prozent der Betroffenen eingruppiert. Mehr als die Hälfte der Verfahren endete mit einer Einstufung als Mitläufer oder Entlasteter, weshalb man die Spruchkammern auch als »Mitläuferfabrik« bezeichnete. Über ein Drittel der Verfahren wurde eingestellt. Grundlage dafür war nicht zuletzt das System der »Persilscheine«, bei dem Pfarrer oder andere »honorige« Personen entlastende Aussagen zugunsten von Beschuldigten machten.

»Reeducation«

Zum Konzept der Reeducation gehörte es, dass die vom NS-Regime gleichgeschalteten Medien – unter der Kontrolle des Reichspropagandaministeriums – fortan eine demokratische Erziehung ermöglichen sollten. Wie dringend dazu deutsche Antifaschisten gebraucht wurden, zeigte sich an verschiedenen Beispielen. Als im Sommer 1945 die US-amerikanische Besatzungsmacht neue Zeitungen genehmigte, wurden als Lizenzträger Vertreter aus den antifaschistisch-demokratischen Parteien, die Erfahrung mit journalistischer Arbeit hatten, gesucht. Für die Gründung der Frankfurter Rundschau wurde als ausgewiesener Antifaschist der langjährige KZ-Häftling der Lager Dachau und Buchenwald Emil Carlebach als Vertreter der KPD mit dieser Aufgabe betraut. In seinen Erinnerungen »Zensur ohne Schere« beschreibt er die Möglichkeiten antifaschistischer Aufklärungsarbeit, aber auch die Grenzen, die ihm selbst als Verantwortlichem für die Lokalberichterstattung durch die US-amerikanische Besatzung gezogen wurden. Die politischen Konflikte spitzten sich dermaßen zu, dass er im August 1947 als Lizenzträger abgelöst wurde.

Ähnliches geschah bei der zweiten demokratischen Zeitung in Hessen, den in Kassel erscheinenden Hessischen Nachrichten. Auch hier wurde ein überparteiliches Herausgebergremium geschaffen. Fritz Schmidt, kommunistischer Widerstandskämpfer und Häftling im KZ Sachsenhausen, wurde für die KPD in dieses Gremium aufgenommen. Seine Kommentare und Berichte wurden sogar in der hessischen Landeshauptstadt wahrgenommen. Da er aber auch kritisch über die US-Besatzungspolitik schrieb, wurde ihm im August 1946 ohne Begründung die Lizenz entzogen.

Da der Auflage von Zeitungen Grenzen gesetzt waren, erreichte man über Radio, immerhin besaßen fast alle Haushalte einen »Volksempfänger«, eine größere Zahl an Menschen. Am 1. Juni 1945 begann der Sendebetrieb des US-amerikanischen Rundfunksenders Radio Frankfurt. Golo Mann, der als amerikanischer Offizier die Verantwortung für den Aufbau hatte, und die anderen Kulturoffiziere dieses Senders, der von Bad Nauheim aus ein deutschsprachiges Programm verbreitete, wollten mit Hilfe des Rundfunks zur »Reeducation« beitragen. Im Mittelpunkt des Programms standen neben Nachrichten Sendungen zur Kultur- und Geistesgeschichte. Im Oktober 1945 wurde der Germanist Hans Mayer Kulturredakteur und stellte gemeinsam mit Stephan Hermlin, mit dem er schon in der Schweiz zusammengearbeitet hatte, antifaschistische und humanistische Literatur vor. Während Hermlin später Leiter der Literaturredaktion wurde, ernannten die US-Amerikaner Mayer zum politischen Chefredakteur von Radio Frankfurt. Manche seiner Ansprachen, wie beispielsweise seine Rede zum Urteil im Nürnberger Hauptkriegsverbrechertribunal, wurden live verbreitet. Diese Tätigkeit endete jedoch bald. Am 1. Juni 1946 wurde Eberhard Beckmann die Leitung des Senders übertragen. Dieser setzte die Vorgaben der amerikanischen Politik konsequent um und verdrängte Hans Mayer als Chefredakteur.

Ein drittes Medium waren Kinovorführungen, die nicht nur die »Wochenschau« verbreiteten, sondern auch antifaschistische Aufklärung vermitteln sollten. Dies hatte man schon in den Kriegsgefangenen- und Internierungslagern – jedoch oft nur mit mäßigem Erfolg – eingesetzt. Viele Deutsche nahmen Kino jedoch als willkommene Abwechslung vom Alltag in den Trümmern wahr. In der SBZ wurde – mit Unterstützung der SMAD – der antifaschistische Film ermöglicht. Bis heute beeindruckend ist der 1946 entstandene Defa-Film von Wolfgang Staudte »Die Mörder sind unter uns«. Dass seine Verfilmung von Heinrich Manns »Der Untertan« (1951) in der Bundesrepublik fünf Jahre lang verboten war, kann angesichts der Ost-West-Spaltung und der westdeutschen Restaurationspolitik nicht überraschen.

Aber nicht nur die Besatzungsmächte bemühten sich um »Reeducation« bzw. um antifaschistische Neuorientierung. Willy Schmidt, Kommunist und langjähriger Häftling in den KZ Lichtenburg und Buchenwald, erinnerte immer wieder an die Anfänge der gewerkschaftlichen Jugendarbeit in Duisburg. Im März 1946 diskutierten Delegierte einer Gewerkschaftskonferenz über die Bedeutung der Jugendarbeit. Die Jugend, die durch zwölf Jahre Nazismus negativ beeinflusst worden sei, dürfe nicht vergessen werden. Willy Schmidt wurde für diese Aufgabe in die damalige Ortsverwaltung gewählt. Er hatte vor 1933 erfolgreich Jugendarbeit gemacht und kam aus den Lagern zurück mit der festen Überzeugung, dass es unbedingt notwendig sei, der Arbeiterjugend eine klare Perspektive zu geben. Er versuchte die Jugendlichen in den Betrieben und Ausbildungsstätten zu erreichen, organisierte Gruppenabende und Freizeitaktivitäten und sprach auf zahlreichen Veranstaltungen über den Faschismus, seine eigenen Erfahrungen und die Notwendigkeit der politischen Konsequenzen für einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn. Schmidt war so populär und die Arbeit mit der Jugend wurde als politisch so wichtig eingeschätzt, dass der Ortsausschuss beschloss, Schmidt als einen der Redner der ersten freien 1.-Mai-Kundgebung 1946 aufzustellen. Er selbst sprach rückblickend davon, dass diese Jugendarbeit wohl eine seiner wichtigsten Aufgaben beim antifaschistischen Neuanfang gewesen sei.

Hemmschuh Antikommunismus

Die Entnazifizierung war – aus der Sicht der Alliierten, aber auch der deutschen Antifaschisten – nicht nur beschränkt auf die Ausschaltung großer Nazis aus Ämtern und Funktionen, sondern diese Aufgabe wurde als deutlich komplexer verstanden. Jedoch verhinderte die weltpolitische Auseinandersetzung zwischen Ost und West, die schon im Umfeld der Potsdamer Konferenz erkennbar wurde, deren konsequente Umsetzung. Aus der Sicht der USA und Großbritanniens waren in der Frontstellung zur Eindämmung des Sozialismus die antikommunistischen Experten aus der deutschen Wirtschaft und Verwaltung, aus der deutschen Raketenproduktion, den Geheimdiensten und der faschistischen Wehrmacht für die strategischen Optionen des Westens unverzichtbar. Dementsprechend wurden sie geschont.

Ulrich Schneider schrieb an dieser Stelle zuletzt am 9. April 2025 über die Todesmärsche kurz vor der Niederlage der Faschisten: »Mörderisches Ende«

Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug

Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Der berühmte Konferenztisch in Potsdam, an dem die Verhandlungen...
    17.07.2025

    Feinjustierung und großer Knüppel

    Am 17. Juli 1945 trafen sich Churchill, Stalin und Truman in Potsdam zu ihrer dritten Konferenz. Während sie den Umgang mit dem besetzten Deutschland festlegten, gab Truman den Befehl zum Einsatz der Atombombe: Der Kalte Krieg begann
  • Kollaborierte mit den Nazis als Redakteur des Tarnsenders »Radio...
    12.04.2023

    Unter falscher Flagge

    Serie: Klassenkampf im Äther – 100 Jahre Rundfunk in Deutschland. Teil 4: »Linke« Nazipropaganda gegen Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion
  • Das Konzentrationslager Buchenwald kurz nach der Selbstbefreiung...
    11.04.2020

    Erinnerung und Vermächtnis

    Vor 75 Jahren wurde das Konzentrationslager Buchenwald befreit – von den Häftlingen selbst. Das wird seit 1990 bestritten