Falsche Hoffnungen
Von Annette Schlemm
Das Ziel, die globale durchschnittliche Temperaturerhöhung bis 2100 unter 1,5 Grad zu halten, ist bereits verfehlt worden. Auch das Zwei-Grad-Ziel hängt am seidenen Faden. Aber es wird weiter beruhigt: Wir werden das schon noch schaffen! Woher kommt diese Überzeugung? Aus einer Luftnummer. Auch im »Klimaaktionsplan« der Stadt Jena steckt solch eine Luftbuchung: 20 Prozent der Treibhausgasemissionen sollen durch Maßnahmen – Kohlendioxid zum Beispiel durch Bäume wieder aus der Luft zu ziehen – »kompensiert« werden. Überall in der Welt leiden die Wälder unter weiterer Abholzung und immer mehr auch durch Brände. Extremwetter bedroht Ernten, so dass es unmöglich wird, mehr Ackerland mit Wäldern zu bepflanzen, und woanders, wie in der Sahara oder Sibirien, gibt es keine geeigneten Böden.
In gleicher Weise leiden alle möglichen Maßnahmen, Kohlendioxid aus der Luft zu entfernen, an der Unmöglichkeit ihrer Ausführung, an extremem Land- und/oder Energieverbrauch und nicht verantwortbaren anderen Wirkungen. Die Hoffnung, das zu viel emittierte Kohlendioxid aus der Luft zu holen, zählt zur Climate-Engineering-Technik (Geoengineering). Damit sind auch Techniken verbunden, die nicht direkt zum Climate-Engineering gehören, aber zum Wegspeichern des Kohlendioxids gebraucht werden. Hierfür wird die eigentlich schon aufgegebene Technik der Kohlenstoffabscheidung und -versiegelung (CCS) wieder aus der Versenkung geholt. In Deutschland wird die Vorbereitung dieser technischen Scheinlösung des Klimaproblems vornehm »Carbon-Management« genannt. Damit ist gesetzt, dass so etwas geplant und durchgeführt wird – bevor sich eventuell Widerstand meldet wie bei den früheren Plänen, das Kohlendioxid direkt in deutschen Böden zu versenken.
Eine zweite Möglichkeit, dem Klimadilemma technisch beizukommen, besteht in der Dimmung des eingestrahlten Sonnenlichts. Das würde die Temperatur verringern, ohne dass die Ursache für die Erhitzung, die Emission der Treibhausgase, verringert werden müsste. In den ursprünglichen Veröffentlichungen der Erfinder einer heute vieldiskutierten Methode wurde dieses Ziel ausdrücklich genannt. Geplant war bzw. ist, Aerosole in die Stratosphäre einzubringen, um das Sonnenlicht zurück ins All zu reflektieren.
Noch 2001 zweifelte der Weltklimarat (IPCC) an der technischen Umsetzbarkeit solcher Techniken und verwies auf »zahlreiche ethische, rechtliche und Gerechtigkeitsprobleme«. Diese Sicht änderte sich im Jahr 2018. Drei Jahre zuvor war in Paris beschlossen worden, die global durchschnittliche Temperaturerhöhung sollte die 1,5-Grad-Marke nicht überschreiten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden aufgefordert, Lösungen dafür vorzuschlagen. Zwei der vier Szenarien, die in einem Sonderbericht des IPCC schließlich 2018 vorgeschlagen wurden, setzen sehr viel (erstes Szenarium) oder etwas weniger (zweites Szenarium) auf eine der möglichen Climate-Engineering-Techniken. Dabei sollen schnell wachsende Pflanzen angebaut werden, die dann verbrannt werden. Das dient einerseits der Energiegewinnung und andererseits soll dabei das Kohlendioxid abgeschieden werden. Diese Pflanzen würden nicht nur Land, sondern auch Wasser und Dünger benötigen. Das Vorhaben ist also in den erforderlichen Mengen absurd. Ähnliches gilt für die weiteren vorgeschlagenen Methoden. Das Fazit lautet: Die sachlich möglicherweise wirkungsvollen Maßnahmen sind wegen ihrer schädlichen Auswirkungen nicht zu verantworten, andere Maßnahmen wie das Weißen von Häusern zur Sonnenlichtreflexion oder ähnliches sind überhaupt nicht wirkungsvoll genug, um das globale Problem anzugehen.
Die Annahme, die Klimaprobleme könnten technisch gelöst werden, blendet zwei der vom Weltklimarat in seinem Bericht von 2018 vorgestellten Szenarien komplett aus. Tatsächlich werden sie jenseits des Mainstreams gar nicht in Betracht gezogen. Im dritten Szenarium geht es darum, statt immer weitere Stromfresser zu entwickeln, mindestens ein Drittel des Energiebedarfs zu senken bzw. im vierten Szenarium grundsätzlich zu einer materialsparenderen Lebensweise überzugehen. Die Vorschläge zum Climate-Engineering gehen in eine andere Richtung. Das derzeitige energie- und materialverschwenderische Produktionssystem soll mit aller Kraft und unter allen Risiken aufrechterhalten werden. In kommunalen Klimaplänen bleibt der Wachstumsimperativ erhalten, schließlich stehen Städte ja in einer Standortkonkurrenz zueinander. Die Unternehmen genauso. Und die Güter sind so wenig langlebig, reparaturfreundlich und für eine Kreislaufwirtschaft ungeeignet, dass auch die meisten Konsumentinnen und Konsumenten mehr verbrauchen (müssen), als sie eigentlich wollen. Aber in »die Wirtschaft«, sprich die kapitalistischen Grundlagen unseres Lebens, darf die Politik nicht hineinreden und erst recht nicht die Wissenschaft.
Inzwischen sitzen wir in einer Falle. Uns wird eingeredet, es gäbe nur die Alternative, uns den schlimmen Folgen des fast ungebremsten Klimawandels auszusetzen, oder wenigstens zu versuchen, sie durch Climate-Engineering abzumildern. Das ist ein Beispiel für eine manipulative »Illusion der Alternativen«. Es werden nur zwei Alternativen diskutiert, statt die Exit-Option als dritte Alternative zuzulassen: unsere Produktions- und Lebensweise völlig zu verändern in Richtung der Verträglichkeit mit natürlichen Reproduktionsprozessen und eines Verzichts auf deren Überlastung.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (8. September 2025 um 20:47 Uhr)»Treibsel« (Das Treibsel … besteht zu 90 bis 99 Prozent aus Pflanzenmaterial, https://www.presse.uni-oldenburg.de/f-aktuell/9907trei.htm) unterirdisch einzulagern, z. B. als Teil der Ewigkeitsaufgaben in stillgelegten Bergwerken, wäre eine sinnvolle Möglichkeit der CO₂‑Reduktion. Das Treibsel muss sowieso vom Strand entfernt werden und wird ggf. zu Sondermüll. Die deutsche Nord- und Ostseeküste ist ganz schön lang … Und unsere Enkel könnten in zwei-, dreihundert Millionen Jahren wieder Steinkohle aus den alten Bergwerken fördern. Im Ernst: Technisch stehen alle Mittel zur Verfügung, den Klimawandel aufzuhalten. Was nicht zur Verfügung steht, ist der Wille bei großen Teilen der herrschenden Eliten dazu, ihre Interessenlagen sprechen dagegen.
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vom 09.09.2025