Grotesk und gefährlich
Von Reinhard Lauterbach
Es könnte lächerlich sein, wenn es nicht so ernst wäre. Da kreißte also am Donnerstag in Paris der Berg, und heraus kam laut Gastgeber Emmanuel Macron, dass »26 Nationen« bereit seien, in irgendeiner Weise Truppen zur Absicherung eines künftigen Waffenstillstands in die Ukraine, die Gewässer vor ihrer Küste oder den Luftraum über ihr zu entsenden. Der »Koalition der Willigen« gehören aber nach letzter Zählung 35 Staaten des westlichen Wertesystems an. Also: so ganz einig sind sie sich nicht.
Die Wahrheit ist, dass die »Sicherheitsgarantien« unter Voraussetzungen gestellt werden, von denen die »Willigen« gerade hoffen, dass sie nicht eintreten. Beziehungsweise daran arbeiten, dass das so ist. In erster Linie ist das die Forderung, vor der Einführung dieser Garantien müsse ein Waffenstillstand vereinbart und in Kraft getreten sein. Und wie soll das erreicht werden? Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen hat militärisch nicht funktioniert; um es an einer diplomatischen Lösung zu interessieren, müsste man ihm etwas bieten. Das aber soll vom Ansatz her ausgeschlossen sein. So bläst NATO-Generalsekretär Mark Rutte die Backen auf und sagt, Russland habe über »Stabilisierungstruppen« der westlichen Allianz in der Ukraine kein Mitspracherecht: »Warum sollten wir Russland nach seiner Meinung fragen?« Und dann wundert er sich, dass es Moskau mit einem Waffenstillstand nicht eilig hat? Oder der Kanzler: Russland müsse »an den Verhandlungstisch gebracht werden«. Und zwar wie?
Die eine Auflösung dieses ganzen Getues wird von den »Willigen« selbst geliefert: Die Erklärungen dieser NATO-Teilmenge seien in Wahrheit an die Adresse der USA gerichtet, damit diese ihre eigenen Unterstützungszusagen konkretisieren. Die »Koalition der Willigen« liefert also in Wahrheit eine Illustration nicht eines einheitlichen politischen Willens, sondern das Bild einer Koalition des Maulheldentums.
Um das aber zu vertuschen, gehen die »Willigen« immer näher an den wirklichen Krieg mit Russland heran. In Dänemark soll im Auftrag Kiews Treibstoff für ukrainische Raketen produziert werden; die Bundesregierung will zwar keine »Taurus«-Marschflugkörper aus eigenen Beständen liefern, sich aber an der Produktion ähnlicher Waffen in der Ukraine finanziell und mit Know-how beteiligen. Immer in der Hoffnung, dass Russland sich dies gerade noch bieten lässt. Die für die »Willigen« bittere Wahrheit ist: Russland hat, ob es Mark Rutte passt oder nicht, eine faktische Widerspruchsmöglichkeit gegen ihre Pläne zum Truppeneinsatz – und die lautet: Der Krieg geht weiter. Einstweilen mit EU-europäischem Geld und ukrainischem Blut. Bis Geld irgendwann nicht mehr reicht. Die Ukraine wartet nur auf diesen Moment. Ihr ist alles egal, und Rutte weiß das. Deshalb fürchtet er den Waffenstillstand als »den Ernstfall, den wir vermeiden wollen«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. September 2025 um 21:03 Uhr)In echt, »Die Ukraine wartet nur auf diesen Moment«? Sind es nicht bestimmte Kreise in der Ukraine, die auf diesen Moment warten? Warum soll ein Rutte einen Waffenstillstand fürchten? Der ließe sich bestens zur weiteren Munitionierung der Ukraine nutzen. Was der Herr Rutte wirklich fürchtet, ist die Anerkennung von Russlands Recht auf seine Sicherheit. Eine weitere Frage ist genau die: Was lässt Russland sich gerade noch bieten? Die andere natürlich: Was kann Russland sich (noch) ökonomisch/militärisch leisten?
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