Maulkorb für Presse
Von Frederic Schnatterer
Zwei Wochen war es still, nun folgt der Gegenschlag: Am Montag (Ortszeit) hat ein Richter in Argentinien die Verbreitung von Audiomitschnitten untersagt, die korrupte Machenschaften hochrangiger Regierungsmitglieder nahelegen. Obwohl der Richter keinen Zugriff auf die Mitschnitte hatte, befand er, diese könnten die »Privatsphäre und Ehre« von Karina Milei verletzen und »die Sicherheit der Institutionen« des Landes beeinträchtigen. Karina ist die Schwester von Präsident Javier Milei, der sie zu seiner »Generalsekretärin« gemacht hat. Sie gilt als besonders mächtig in der ultrarechten Regierung und steht seit Tagen im Zentrum der Korruptionsvorwürfe.
In der Urteilsbegründung heißt es: »Es gibt begründete Vermutungen, dass die Audioaufnahme, falls sie echt sein sollte, auf illegale Weise im Regierungspalast beschafft wurde.« Das stelle »ein beispielloses Ereignis in der Geschichte der Nation« dar, weswegen es »notwendig« sei, das Gebot der Pressefreiheit gegen die »schwerwiegenden Folgen abzuwägen, die die Verbreitung von Informationen auf jeglichem Wege für mögliche laufende Ermittlungen haben könnte«, argumentiert der Richter. Das Verbot, die mutmaßlich existierenden Mitschnitte zu verbreiten, richtet sich sowohl gegen Medien und Journalisten als auch gegen Privatpersonen.
Vor zwei Wochen waren im Streamingkanal Carnaval Aufnahmen veröffentlicht worden, die ein Bestechungsnetzwerk rund um die staatliche Behindertenagentur Andis nahelegen, an dessen Spitze Karina Milei und ihre rechte Hand Eduardo Menem stehen sollen. Letzterer bezichtigte die linke Opposition daraufhin einer »plumpen politischen Operation« im Vorfeld der Wahlen in der Provinz Buenos Aires an diesem Sonntag sowie Ende September für das Landesparlament. Präsident Milei bezeichnete die Vorwürfe schlicht als »Lüge«. Am Montag schwadronierte Präsidentensprecher Manuel Adorni nun von einem »Spionagenetz«, das hinter den Aufnahmen stecke. Demnach wurden die »privaten« Gespräche »aufgezeichnet, manipuliert und verbreitet, um die Exekutive zu beeinflussen. Es handelt sich nicht um ein Leck, sondern um einen illegalen, geplanten und gezielten Angriff.«
Sicherheitsministerin Patricia Bullrich spann die Verschwörung weiter und behauptete, »parallel operierende Geheimdienste setzen im Wahlkampf auf Desinformation und Destabilisierung«. Ihr Ziel bestehe darin, die Regierung zu stürzen. Zurückzuführen sei die Kampagne auf »ausländische Einflüsse«, dabei folge sie »ähnlichen Mustern wie jene Operationen, die russischen und chavistischen Interessen zugeschrieben werden«. Ebenfalls am Montag forderte Bullrich, die Staatsanwaltschaft möge Hausdurchsuchungen bei den für die Veröffentlichung der Audiomitschnitte verantwortlichen Journalisten sowie dem Besitzer des Kanals Carnaval veranlassen.
Journalistenverbände kritisierten noch am Montag das Urteil. Das argentinische Journalistenforum (Fopea) bezeichnete die Entscheidung in einer Erklärung als »Vorzensur« und die Drohungen aus Regierungskreisen als »Schikane«. »Journalisten müssen in absoluter Freiheit arbeiten können, um das Recht der Gesellschaft auf Informationen über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu gewährleisten«, forderte Fopea weiter. Die Gewerkschaft von Presseschaffenden in Buenos Aires (Sipreba) sprach den betroffenen Journalisten ihre Solidarität aus und forderte, journalistische Quellen müssten geschützt werden.
Zuletzt hatten Umfragen immer schlechtere Ergebnisse für die Kandidaten der Regierung bei den anstehenden Wahlen vorhergesagt. Ein weiteres Problem stellen die immer deutlicher zutage tretenden Wirtschaftsprobleme dar. Am Montag näherte sich der Wert eines US-Dollars gefährlich dem festgelegten Maximum von 1.400 Argentinischen Pesos. Sollte der Wechselkurs diese Schwelle überschreiten, müsste Wirtschaftsminister Luis Caputo die Dollars vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zu seiner Stabilisierung einsetzen. Der nahezu einzige Erfolg der Regierung, die sich rühmt, die Inflationsrate gesenkt zu haben, ist in Gefahr.
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