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Aus: Ausgabe vom 01.09.2025, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

Ein Seiteneinsteiger

Der DOSB bekommt mit dem FDP-Politiker Otto Fricke einen fachfremden Vorstandschef
Von Andreas Müller
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Im Spannungsfeld des Breitensports: FDP-Politiker Otto Fricke

Seit Montag hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) wieder einen Vorstandsvorsitzenden. Otto Fricke, Anwalt aus Krefeld, rückt an die Spitze der mit über 28 Millionen mitgliederstärksten Organisation dieses Landes. Der 59jährige folgt an der Spitze der wichtigsten Institution des deutschen Sports auf Torsten Burmester, den die Kandidatur für das Amt des Kölner Oberbürgermeisters Ende November den Job kostete.

Otto Fricke saß von 2002 bis 2013 und von 2017 bis 2025 im Bundestag, avancierte als Haushaltsexperte der FDP-Fraktion zur parlamentarischen Größe. Den nationalen Sport kennt er vornehmlich aus dieser Perspektive. Macht nichts, wo doch Christiane Schenderlein für die CDU sogar als erste »Staatsministerin für Sport und Ehrenamt« fachfremd ins Amt kam und im neuen Sportministerium mit Babette Kibele eine fachfremde »Abteilungsleiterin Sport« amtiert; wo mit Aydan Özoguz (SPD) eine vormalige Vizepräsidentin des Bundestages dort nun fachfremd dem Sportausschuss vorsitzt.

Seiteneinsteiger können es im sportpolitischen Metier weit bringen. Vermutlich, weil hier die Konsequenzen bei beruflichem Versagen – anders als etwa bei Ärzten, Installateuren oder Sprengmeistern – kaum jemand bemerken würde. Das Attribut »fachfremd« scheint nachgerade zur Empfehlung mutiert, ohne die die Spitzenpositionen im bundesdeutschen Sportsystem nicht zu erklimmen sind. Fricke kenne sich im Finanzbereich »bestens aus«, sei »bestens vernetzt« und über Parteigrenzen hinweg »sehr angesehen«, äußerte DOSB-Präsident Thomas Weikert unlängst im Gespräch mit der Welt.

Mehr als wohlwollend äußerte sich der Anwalt aus Limburg ebenfalls über Christiane Schenderlein nach ihren ersten einhundert Tagen im Amt. »Es stimmt, sie ist fachfremd. Doch aus unseren bisherigen Begegnungen kann ich nur Positives berichten. Sie ist bei diversen Sportveranstaltungen präsent, sucht den Kontakt zur Basis, lädt zum Gespräch ins Ministerium ein. Sie fragt nach und hört zu, um sich schnellstmöglich in die verschiedensten Themen einzuarbeiten.« Die Frau arbeitet sich ein – wie bemerkenswert. Die selbstverständlichste Sache der Welt animiert den DOSB-Präsidenten zum Lobgesang, als sei eine ganz erstaunliche Leistung zu würdigen.

Ähnlich bezaubert ihn der Umstand, dass marode Sportstätten endlich für würdig gehalten werden, mit Geld aus dem Infrastrukturpaket bedacht zu werden. »Der Sport findet mittlerweile Erwähnung im Gesetzentwurf, das war im ersten Entwurf noch nicht der Fall. Das heißt, Länder und Kommunen dürfen jetzt das Geld auch für die Sportinfrastruktur nutzen.«

Alles andere, als dass der Sport in den kommenden zwölf Jahren von den Milliarden zur Verbesserung der zivilen Infrastruktur profitiert, wäre allerdings eine Unverschämtheit! Alles andere, als dass aus dieser Quelle dringend sanierungsbedürftige Sportanlagen renoviert werden, wäre skandalös. Sportstätten jeder Art haben zwingend und natürlich zur infrastrukturellen Grundversorgung zu zählen wie Verkehrswege mit ihren Brücken und Tunneln, wie Gas-, Strom- und Wasserleitungen, wie das kommunale Netz an Freizeit- und Bildungseinrichtungen bis hin zu Krankenhäusern und Altenheimen.

Allein bei den kommunalen Sportanlagen in Sachsen beläuft sich der Sanierungsstau nach einer Erhebung aus dem vergangenen Jahr auf mindestens 374 Millionen Euro. Bundesweit werden Zahlen bis zu über 30 Milliarden Euro kolportiert. »Das Sondervermögen des Bundes bietet nun eine einmalige Chance, den Sport fit für die Zukunft zu machen und die Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden nachhaltig zu stärken«, betont Ulrich Franzen, der Präsident des Landessportbundes (LSB) Sachsen.

Schlimm genug, dass Vertreter des DOSB und aus dem LSB-Verbund sich in den vergangenen Wochen schwer abmühen mussten, damit die Bedürfnisse des Sports im Milliardenprogramm des Bundes berücksichtigt wurden. Flehentliche Schreiben wurden vom DOSB an Politiker verschickt: »Der Sport braucht Ihre Unterstützung! Aktuell laufen im politischen Berlin die Verhandlungen zur Ausgestaltung des 500-Milliarden-Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaneutralität. Mit Erschrecken mussten wir feststellen, dass Investitionen in die marode Sportinfrastruktur unseres Landes nach den bisherigen Planungen nicht möglich sein sollen. Wir halten dies für einen großen Fehler. Ein Sondervermögen ohne Sport ist eine vertane Chance für unser Land!«

Was könnte die Marginalität des Breitensports besser illustrieren als solche Bettelbriefe? Sie dokumentieren, wie sehr das sportliche Fundament mit seinen knapp 87.000 Vereinen mittlerweile in den gesellschaftlichen Schatten geraten ist – und wie es allgemein um den sportpolitischen Sachverstand bestellt ist.

Welche Beträge nach dem ersten Kraftakt zugunsten der Infrastruktur des Breitensports zu erwarten sind? An der Größe des Stücks vom Kuchen wird auf den Heller genau zu erkennen sein, wie sehr der Sport als gesellschaftliche Kraft noch wertgeschätzt wird. Womit auch das wichtigste Arbeits- und Spannungsfeld von Otto Fricke zu seinem Dienstantritt skizziert wäre. Sein Vertrag als DOSB-Chef gilt bis 2028, mit der Option auf eine Verlängerung bis 2030.

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