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Aus: Ausgabe vom 22.08.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Letzte Tänze

Am Wochenende startet die dritte Grand Tour der Saison – die 80. Vuelta a España
Von Felix Bartels
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Merlier, Groves, van Poppel (v. l.): Zogen vor, der Vuelta fernzubleiben

Drei Geschwister, wie im Märchen. Es gibt das beste, das geliebte und das dritte. Die Tour de France steht unangefochten, sie hat keinen Mythos, sie ist der Mythos. Der Giro macht psychodynamisch den Counterpart, setzt sich dem Hochglanz mit Indie-Vibes entgegen. Man erkennt den Szenehorst daran, dass er den Giro »einfach geiler« findet. In dieser wohlgestalten Arbeitsteilung bleibt die Vuelta irgendwie draußen – ihr symbolisches Kapital, ihre Geschichte und mediale Präsenz fallen gegen die der anderen beiden Grand Tours ab. Was sich auch an ihrer Position im World-Tour-Kalender ablesen lässt. Die Spanien-Rundfahrt kommt im Herbst, als Treffen all jener Klassementfahrer, die die letzte Chance der Saison suchen, und anders als Tour und Giro muss sie mit einem parallel ausgetragenen WT-Rennen, der Benelux-Tour (Renewi), konkurrieren.

So sucht man andere Wege, Attraktivität zu generieren. Es hat Tradition, das via Teilnehmer leichtere Rennen via Profil schwerer zu machen. Wahnwitzige elf Bergankünfte stehen diesmal an, sechs davon im Hochgebirge. Zudem zwei Zeitfahren. Damit bleiben nicht viele Abschnitte, auf denen kein Klassement gemacht wird, reine Flachetappen gibt es dieses Jahr bloß vier. Immerhin scheinen die Veranstalter das Hitzeproblem berücksichtigt zu haben. Das Rennen spielt sich ausschließlich im Norden ab, dort liegt mit den Pyrenäen zwar das schwerste Terrain, klimatisch dürfte es aber erträglicher werden. Ihren südlichsten Punkt erreicht die Rundfahrt auf der letzten Etappe in Madrid. Bemerkenswert zudem: Das erste Mal in ihrer Geschichte hat sie ein Gastspiel in Italien, sie startet im Piemont.

Bei bloß vier flachen Etappen wundert nicht, dass kaum reine Topsprinter am Start sind: Jonathan Milan, Tim Merlier, Olav Kooij und Biniam Girmay fehlen. Ein bloß vermeintlich leichtes Spiel für Jasper Philipsen. Er, der die flachen Etappen der Tour de France in den letzten Jahren dominierte, könnte nach seinem Sturz dort in diesem Sommer noch Fitnessrückstand haben, zumal ihm Mathieu van der Poel fehlt. Womit Mads Pedersen, der sprintstarke Klassikerspezialist, zum Favoriten nicht nur der hügeligen, sondern auch der flachen Tage wird. Lidl – Treks Entscheidung, Milan bei der Tour und Pedersen bei der Vuelta einzusetzen, ist sportlich sinnvoll, die Tour hatte dieses Jahr mehr flache Ankünfte, was Milan entgegenkommt. Anders als beim kongenialen Sprintzug von Alpecin, wo van der Poel das Lead out für Philipsen besorgt, scheinen die beiden Lidl-Kapitäne besser ohne einander zu fahren. Milan tritt gegenwärtig die Deutschland-Tour, die dieses Jahr kaum Barrieren für Sprinter hat.

Das Gesamtklassement könnte enger ausfallen als bei der Tour. Im erweiterten Favoritenfeld treffen mit Ben O’Connor und Jai Hindley zwei Fahrer aufeinander, die, im Fall sie sich treffen, jede Grand Tour zur in­offiziellen Australischen Meisterschaft machen. Ebenfalls in die Top ten gelangen könnten Felix Gall, Damiano Caruso, Giulio Pellizzari, Antonio Tiberi, David Gaudu, mit etwas Ausreißerglück Guillaume Martin oder der zuverlässige Top-ten-Fahrer Mikel Landa. Desgleichen in den erweiterten Kreis gehört der Tour- und Giro-Sieger Egan Bernal, er beendete den Giro im Frühjahr auf Rang sieben. Vermutlich wird auch Tom Pidcock auf Klassement fahren, obwohl die Meinung dominiert, dass er einen Grand-Tour-Sieg nicht in sich hat und sein Training daraufhin ihn die Spritzigkeit kosten könnte, die er für Siege bei einzelnen Abschnitten braucht.

Zum erweiterten Kreis gehören ferner Matteo Jorgenson und Sepp Kuss. Jorgenson allerdings hat sich bislang wenig resilient bei dreiwöchigen Rundfahrten gezeigt, und Kuss bei seinem Vuelta-Sieg 2023 von günstigen Umständen profitiert. Beide werden für Jonas Vingegaard arbeiten müssen, der natürlich der große Favorit ist. Wenn er denn seine Form aus dem Juli hat konservieren können. Seine Leistungsdaten bei der Tour haben gezeigt, dass er nicht im Aufbau, sondern auf dem Peak war, mit dem Pech bloß, Pogačar vor sich zu haben, dessen Peak noch höher liegt. So könnte durchaus eintreten, dass man einen schon etwas erschöpften Vingegaard sieht, doch vielleicht zeigt er sich in Abwesenheit Pogačars angriffsfreudiger und weniger verängstigt.

Seine härtesten Widersacher scheinen Juan Ayuso und João Almeida von UAE zu sein. Zumal Richard Carapaz am Dienstag auf seinen Start verzichtete. Er hatte den Giro als Dritter beendet und die Tour infektionsbedingt auslassen müssen. Als pinker Farbtupfer im uniformen UAE-Visma-Brei wird der offensive Instinktfahrer fehlen. Ayuso stand bereits auf dem Podium der Vuelta, allerdings gilt er als schwierig und hat sich in der Vergangenheit, wenn es nicht ideal lief, öfter hängenlassen. Die UAE-Doppelspitze könnte vor dem Hintergrund der mittlerweile manifesten Teamunfähigkeit Ayusos problematisch werden.

Almeida markiert das Gegenteil. Loyal und mit langem Atem pariert er Attacken selten, kontert vielmehr mit konstant hohem Tempo im FTP-Bereich. In Topform scheint er Vingegaard sowohl beim Zeitfahren als auch am Berg ebenbürtig, sofern der nicht mehr ganz auf seinem Peak fährt. Eine schwer zu schätzende Variable ist Almeidas Genesung nach seinem Rippenbruch im Sommer.

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