Macht und Ausschweifung
Von Marc Hieronimus
Der 1431 als Rodrigo Borgia bei Valencia geborene Alexander VI. gilt als eher bedeutender Papst, obwohl sein Pontifikat nur die elf Jahre von 1492 bis zu seinem Tod 1503 dauerte. In dieser Zeit wirkte er an der Wiederherstellung der Macht der Kirche und an der Neuordnung ihrer Verwaltung mit, gewährte den aus Andalusien vertriebenen sephardischen Juden Asyl, »schenkte« Spanien und Portugal die neu entdeckten Länder Amerikas und legte dabei die bis heute geltenden Grenzen Brasiliens fest.
Literarisch interessant ist er aber aus anderen Gründen. Wie kein zweiter Papst verkörpert Borgia die verkommenen Zustände der Kirche seiner Zeit. Jahrelang hatte er durch Kungelei und Intrigen auf seine Papstwahl hingearbeitet. Heftiger, mit Geld- und nicht selten Militärmacht ausgetragener Streit um die Papstnachfolge war damals nicht unüblich. Bei Borgias Amtsantritt war die Zeit der Gegenpäpste noch nicht lange vorbei, zeitweilig hatte es drei Pontifexe gleichzeitig gegeben. Er erlangte die Tiara im entscheidenden, viele Tage andauernden Konklave nur durch Simonie und Nepotismus, wie es in der Kirchengeschichte heißt, zu deutsch: Ämterkauf und Vetternwirtschaft.
Selbst wohlmeinende Historiker räumen ein, dass ein Großteil seines Schaffens nur dazu diente, die Macht der Familie Borgia zu sichern und zu mehren. Dazu zählten in erster Linie seine Kinder. Denn ja, wie damals nicht unüblich, hatte Rodrigo Borgia als Bischof und später als Papst ein ausschweifendes und nachkommensreiches Sexualleben. Viele ihm von seinen zahlreichen Feinden und Neidern nachgesagte Orgien, Mordkomplotte und Greueltaten mögen frei erfunden oder zumindest stark übertrieben sein, aber dass er vor illegalen Akten nicht zurückschreckte und das Zölibat für ihn nicht galt, ist unumstritten.
Mehrfach gab es Bestrebungen, ihn mittels eines neuerlichen Konklaves abzusetzen, vielleicht ist er am Ende vergiftet worden. Der päpstliche Zeremonienmeister Johannes Burckard berichtete, Alexanders Leichnam sei in kurzer Zeit »unnatürlich aufgequollen, habe sich schwarz verfärbt und übelriechende Flüssigkeiten abgesondert«. Alles in allem also Stoff, der nach literarischer Umsetzung geradezu schreit.

Vor nunmehr einem Vierteljahrhundert haben sich Alejandro Jodorowsky und Milo Manara daran gemacht, Rodrigo Borgia und seiner nicht minder verkommenen Familie ein Comicdenkmal zu setzen. Bei dem in Chile aufgewachsenen Künstler mit ukrainisch-jüdischen Wurzeln Jodorowsky ist es fast leichter, aufzuzählen, in welchem Genre er noch nicht tätig und erfolgreich war. Als Comicautor hat er mit »Der Incal«, »Megalex« und »Die Techno-Väter« Science-Fiction-Maßstäbe gesetzt.
Sein kongenialer Kollege Manara zeichnet (mit Guido Crepax, Alex Varenne und vielleicht noch Paolo Eleuteri Serpieri) die schönsten Frauen der sogenannten Neunten Kunst – und die erbärmlichsten Männer. Die Reihen »Außer Kontrolle« und »Der Duft des Unsichtbaren« aus den 1980er und 90er Jahren sind seine berühmtesten und gewiss bestverkauften Werke, aber schon zu Beginn seiner Karriere hat er mit der Giuseppe-Bergman-Reihe und Beiträgen zur »Histoire de France en Bande Dessinée« nach seinen Erotikklassikern mit Literaturadaptationen, Partnerarbeiten (Fellini, Pratt) und nicht zuletzt einer »X-Men«-Nummer unter Beweis gestellt, dass er auch ganz anders kann.
Nun also die Skandalfamilie Borgia. 1492: In Rom wütet die Pest, Savonarola prophezeit göttliche Strafen für die Verderbtheit der Oberen. Als der Papst stirbt, würdelos und widerwillig, sieht Rodrigo Borgia endlich seine Stunde gekommen. Er schaltet seine Widersacher aus, besticht die Wankelmütigen und bringt, kaum zum Papst gewählt, Ordnung in die Ewige Stadt und seine Kinder und Mätressen in Schlüsselpositionen. Manara hat alles prachtvoll und historisch adäquat mit Direktkolorierung aufs Papier gebracht. Am Ende jedes Bandes gibt es Skizzen und einen eingelegten Kunstdruck. Ein Bilderrausch von Lust und Grausamkeit. Wer so etwas mag, wird »Borgia« lieben.
Alejandro Jodorowsky (Szenario), Milo Manara (Zeichnungen): Borgia. Vier Bände (zwei erschienen, zwei in Vorbereitung). Splitter-Verlag, Bielefeld 2025, 64 Seiten, 22 Euro
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