Parolen im Managersprech
Von Kristian Stemmler
Bevor ein Generalsekretär seine Partei und seine Regierung kritisiert, muss schon eine Menge schiefgelaufen sein. Auch ein Carsten Linnemann, der dieses Amt bei der CDU ausfüllt, kann die vielen Pannen der ersten 100 Tage »Schwarz-Rot« nicht schönreden. In einem Brief, der am Sonnabend an alle rund 365.000 Parteimitglieder per E-Mail verschickt wurde und über den das Boulevardblatt Bild zuerst berichtete, gibt er sich selbstkritisch. In diesem Sommer habe er viel über die »aktuelle Stimmungslage in unserem Land« nachgedacht, schreibt Linnemann. Man müsse ehrlich sein: »Die Stimmung ist derzeit nicht so gut, wie wir uns das gewünscht haben«, so der Parteimanager.
Linnemann kommt auch nicht umhin, zumindest zwei Vorgänge zu nennen, bei denen die Koalition kein gutes Bild abgab. »Ob bei der Stromsteuer oder der Wahl der Bundesverfassungsrichter, die Abstimmungen zwischen Partei, Fraktion und Regierung waren nicht gut«, heißt es in seinem Schreiben. Bei der Stromsteuer hatten Union und SPD im Koalitionsvertrag eine Absenkung für alle versprochen. Ende Juni verkündete die Regierung dann aber, dass es diese Absenkung nur für Konzerne, nicht aber für private Haushalte gibt. Im Juli scheiterte die Wahl der SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, am Widerstand in der Unionsfraktion.
Der Frust über derartige »Fehler« sei verständlich, schreibt der CDU-Generalsekretär weiter, dieser dürfe »uns aber nicht lähmen«. Weder sei Deutschland »in eine Staatskrise gerutscht«, noch habe »unsere Partei ihren Kompass verloren«. Mit einer Breitseite von Phrasen aus der Managersprache fordert Linnemann, die Deregulierung zu beschleunigen. »Wir müssen jetzt weiter ins Machen kommen«, fabuliert er: »Der Motor läuft, aber jetzt muss der Turbo eingeschaltet werden.« Deutschland brauche »eine Abschaffungsoffensive für überflüssige Gesetze«. Als positives Beispiel verwies der CDU-Generalsekretär auf ein Finanzamt in Hessen, das jetzt erstmalig die Steuererklärung für die Bürger übernehme. Diese »Einfach-mal-machen-Mentalität« brauche man im ganzen Land.
Lobende Worte findet Linnemann in seinem Brief an die Mitglieder, wenig überraschend, für seinen Chef, den CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler Friedrich Merz. Dieser habe Deutschland innerhalb kürzester Zeit zurück auf die europäische und internationale Bühne gebracht. Auch der Hardliner Alexander Dobrindt (CSU) wird als leuchtendes Beispiel vorgeführt. Mit ihm habe die Republik einen Bundesinnenminister, der in der Migrationspolitik »durchgreift und macht, was nötig ist«, so der Generalsekretär.
Mehr Tempo bei den Reformen, sprich: eine beschleunigte Deregulierung, forderten am Wochenende auch die Banken, und zwar beim Thema Rente. Die Überlegungen der Merz-Regierung zur »Reform der Altersvorsorge« seien »zu zaghaft«, meckerte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank, gegenüber Ippen-Media. Die »Frühstartförderung« für sehr junge Menschen sei eine gute Idee, denn bei jungen Menschen sei der für den Vermögensaufbau so wichtige Faktor Zeit »reichlich vorhanden«, so der Banker. Nur sei der Umfang der Förderung zu gering.
Kater kritisierte zudem, dass bei der »Frühstartförderung« Menschen außen vor bleiben, »die heute eben nicht mehr ganz jung sind«. Denn der Koalitionsvertrag sehe lediglich vor, das Depot für Kinder und Jugendliche zwischen dem sechsten und 18. Lebensjahr einzurichten. Im Grunde gehe es darum, »allen Menschen den Aufbau von Vermögen zu erleichtern«, führte der Volkswirt weiter aus und ignorierte damit mal eben die Millionen Menschen, die von der Hand in den Mund leben und kein Geld zurücklegen können.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. August 2025 um 21:27 Uhr)»für den Vermögensaufbau« zitierte mein Vater seine Mutter so: »Spare in der Not, da hast du Zeit dazu.« Das sei den Herren Kater und Linnemann ins Stammbuch geschrieben.
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