Auf dem kognitiven Gefechtsfeld
Von Philip Tassev
Südlich von Alaskas größter Stadt Anchorage kann ein spektakuläres Naturphänomen beobachtet werden: Eine bis zu drei Meter hohe Gezeitenwelle, ausgelöst durch den zweitgrößten Tidenhub Nordamerikas, donnert dort – passende Verhältnisse vorausgesetzt – in den engen Turnagain Arm. Noch höher aber schlugen die Wellen der Empörung in der deutschen »Slawa Ukraini«-Fraktion nach dem Treffen der beiden Präsidenten Donald Trump und Wladimir Putin am Freitag abend auf einer Militärbasis in der US-amerikanischen Stadt, die etwa gleich weit von New York und Murmansk entfernt ist.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte in der ARD über das erste Treffen eines US-Präsidenten mit seinem russischen Amtskollegen seit vier Jahren, es habe »kein gutes Ergebnis« gegeben, sondern »es ist eher ein schwarzer Freitag gewesen«. Die einzige Absicht des russischen Präsidenten sei es gewesen, sich wieder »auf Augenhöhe« auf der internationalen Bühne zu präsentieren. »Das ist Putin eindeutig gelungen. Er wirkt rehabilitiert, während der Krieg fortgesetzt wird.« Gegenüber T-online sprach Kiesewetter von einer »Erpressungssituation«, die Trump gegen die Ukraine geschaffen habe und bei der »die Europäer« mangels »Entschlossenheit und politischem Willen« mitgemacht hätten. Dem »Kriegsverbrecher Putin« sei »eine Bühne« geboten worden, die dieser nun »auf dem kognitiven Gefechtsfeld nutzt«.
Der ehemalige Leiter der Münchner NATO-»Sicherheitskonferenz«, Wolfgang Ischinger, teilte seine Interpretation des Treffens beim Kurznachrichtendienst X mit: »Kein wirklicher Fortschritt – ganz klar 1:0 für Putin – keine neuen Sanktionen. Für die Ukrainer: nichts. Für Europa: tiefst enttäuschend.«
Und Bundeswehr-Professor Carlo Masala sieht in dem Alaskatreffen quasi eine Belohnung für Putin. Der könne »nach Moskau zurückfliegen und seinen Krieg fortsetzen«, während Trump »die Verantwortung für die Beendigung des russischen Aggressionskrieges erneut der Ukraine und den Europäern in die Schuhe« schiebe, so Masala gegenüber dem Spiegel.
Auch für den stellvertretenden Unionsfraktionschef Norbert Röttgen geht Russlands Präsident »als Sieger aus dem Gipfel hervor«. Er habe eine »vor kurzem noch unvorstellbare diplomatische Aufwertung durch den US-Präsidenten erfahren und es erneut geschafft, Trump von seinen Sanktionsandrohungen abzubringen«, beklagte Röttgen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Ebenso sieht die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sara Nanni, Putin als Gewinner des Treffens. Es habe sich gezeigt, dass sich Trump nicht für »Frieden in Europa« einsetzen wolle. Das müsse »ein Alarmsignal sein für den Rest des Westens«, sagte sie im ARD-»Morgenmagazin«.
In diesen Tenor stimmte der Vorsitzende der Linkspartei, Jan van Aken, nahtlos ein. Dem Deutschlandfunk sagte er: »Trump ist die Ukraine vollkommen egal. Trump kennt nur sich selbst, kennt nur Trump und die USA und deren Interessen. Der ist eher bereit, einen schmutzigen Wirtschaftsdeal mit Putin zu machen, als die Ukraine zu retten.« Deshalb müsse man »jetzt ohne Washington eine Lösung finden«.
Aus Brüssel meldete sich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des EU-Parlaments, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), zu Wort. Auch sie schimpfte auf den US-Präsidenten, der Putin wie einen respektierten Staatschef hofiert habe statt wie einen »Kriegsverbrecher« und »Massenmörder«. Die Isolation Russlands wirke dadurch beendet. »Wer Frieden als Bühne für Selbstdarstellung missbraucht, schwächt die freie Welt.« Dann wohl lieber weiter kämpfen und sterben (lassen) bis zum letzten Ukrainer.
Etwas differenzierter klangen die Äußerungen von SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner. Der Auftritt der beiden Präsidenten habe zwar seiner Einschätzung nach »mehr politische Theatralik als Substanz« enthalten, allerdings sei das Treffen zwischen »dem kühlen Aggressor aus Moskau« und dem »irrlichternden Egomanen aus Washington« die »bis dato größte Hoffnungsperspektive dafür, dass der Krieg in der Ukraine mit all den täglichen Opfern zeitnah endlich enden könnte«, so Stegner zur Rheinischen Post.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (19. August 2025 um 15:55 Uhr)Dass es Trump nicht wirklich um die Ukraine geht, könnte stimmen. Als unter seiner ersten Präsidentschaft die Sanktionen gegen Nordstream verhängt wurden, hatte das mehrere Stoßrichtungen. Zum einen sollte natürlich Russland dafür bestraft werden, gegen die völkerrechtswidrige Einmischung der USA in die Maidanproteste etwas unternommen zu haben. Wenn die USA das Völkerrecht brechen, haben die Ergebnisse so eines Bruchs für alle anderen nun mal sakrosankt zu sein. Wenn jemand dagegen aufbegehrt, setzt es Schläge. Weiter sollte eine zu enge deutsch-russische Partnerschaft verhindert werden, die eine Gefahr für die US-amerikanische Vorherrschaft darstellen würde (heartland-Theorie). Drittens sollte die Wirtschaftskraft Deutschlands angegriffen werden, um das Problem der deutschen Exportüberschüsse in den Griff zu bekommen. Und last not least bekamen die US-Amerikaner mit ihrer deutsch- und russlandfeindlichen Politik einen Fuß in die Tür der aus historischen Gründen skeptisch gegenüber Deutschland und Russland eingestellten osteuropäischen Länder. Die Animositäten dort zu schüren, das ist klassische Divide-et-impera-Strategie. Das tatsächliche Ergebnis war hingegen etwas, das Trump gar nicht gefallen will, das Ergebnis war nämlich eine enge Anbindung Russlands an China. Die Divide-et-impera-Strategie ist damit nach hinten losgegangen, denn China wird von den USA schon seit Jahrzehnten skeptisch beäugt und ist von Trump zum offiziellen Gegner ausgerufen worden. Mit russischer Atommacht an Beijings Seite wird ein Krieg gegen China schwerer führbar. Wenn van Aken nun folgert, man müsse »jetzt ohne Washington eine Lösung finden«, dann liegt er komplett daneben. Trumps Pläne gegen China – und dazu gehört auch Trumps Schleimerei um Putin – müssen vielmehr sorgfältig analysiert werden, um ihnen vor dem großen Knall den Garaus machen zu können.
- Antworten
-
Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (18. August 2025 um 11:51 Uhr)Hilfe, der Frieden droht auszubrechen! So geht das aber nicht! Was wird dann aus den schönen Aktienkursen von Rheinmetal & Co? Nix mehr mit bombigen Sonderprofiten.
- Antworten
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. August 2025 um 21:08 Uhr)Ich habe mal den Artikel-Text mit einem Texteditor »Putin« durch »Netanjahu«, »Ukraine« durch »Palästina« und »Moskau« durch »Tel Aviv« ersetzt. Das Ergebnis ist lesenswert und mit leichten Korrekturen praktisch veröffentlichbar. Diesen »dialektischen« Witz habe ich übrigens vor über sechzig Jahren von dem Pfarrer gelernt, der bei uns Religionsunterricht gemacht hat. Naja, nicht »gelernt«, sondern schöpferisch angewendet.
- Antworten
Ähnliche:
- Kevin Lamarque/REUTERS18.08.2025
NATO verliert Krieg
- jW16.08.2025
EU-Kriegstreiber
- Dmitri Lovetsky/AP/dpa15.08.2025
Showdown in Alaska
Mehr aus: Inland
-
Wer reich ist, stirbt später
vom 18.08.2025 -
Parolen im Managersprech
vom 18.08.2025 -
Krise frisst Jobs
vom 18.08.2025 -
Gefahr durch hohe Ozonwerte
vom 18.08.2025 -
»Ich beuge mich nicht vor der Ungerechtigkeit«
vom 18.08.2025