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Aus: Ausgabe vom 18.08.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
US-Hinterhofpolitik

Krieg gegen Drogen 2.0

Sorge und Ärger in Lateinamerika: US-Präsident befugt Militär, gegen »Drogenkartelle« auch im Ausland »vorzugehen«
Von Volker Hermsdorf
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Mexiko kooperiert weiterhin mit USA: Ausweisung von mutmaßlich Kriminellen (San Pedro Totoltepec, 12.8.2025)

Eine US-Militärdrohne sorgte in Mexiko am vergangenen Mittwoch für Aufregung. Das Fluggerät des Typs MQ-9B kreiste stundenlang über dem Bundesstaat Estado de México. Offiziell genehmigt, aber von den Medien misstrauisch beäugt, heizte der Flug die Sorge vor der wachsenden Gefahr von US-Militäreinsätzen an. Unter der Schlagzeile »Spion oder Verbündeter?« wies die konservative Tageszeitung El Financiero darauf hin, dass dieser normalerweise zur Aufklärung eingesetzte Drohnentyp auch für Angriffe konfiguriert werden könne. Die CIA hatte geheime Drohneneinsätze über dem Nachbarland zwar bereits während der Regierung von Joe Biden aufgenommen, doch die mediale Aufregung zeigt, dass in Lateinamerika die Furcht vor US-Militärschlägen zunimmt.

Dafür gibt es einen triftigen Grund. Wenige Tage vor dem Zwischenfall hatte US-Präsident Donald Trump das Verteidigungsministerium befugt, das Militär gegen lateinamerikanische Drogenkartelle auch in anderen Ländern einzusetzen. Die geheime Direktive ermächtigte das Pentagon, dort – ohne Zustimmung des Kongresses – gezielte Tötungen, Marineeinsätze und Operationen auszuführen, berichtete die New York Times am 8. August. Kritiker bezeichneten die Order als mögliche Vorstufe für US-Militärinterventionen in Lateinamerika – unter dem Vorwand des Kampfes gegen Drogen. Oswaldo Espinoza, ein Experte für Geopolitik und internationale Beziehungen, warnte vor einer »Rückkehr der Kanonenbootpolitik«. Nach offizieller Darstellung richtet sich die Anweisung vorrangig gegen das mexikanische Sinaloa-Kartell, die venezolanischen Gruppen »Tren de Aragua« und »Cartel de los Soles« (Kartell der Sonnen) und die zentralamerikanische »Mara Salvatrucha« (MS-13) – bereits im Februar von Washington als »terroristische Organisationen« eingestuft. Doch diese Klassifizierung ist auch so etwas wie ein Freibrief zum Einsatz von US-Militär in anderen Ländern. Nachdem die Befugnis dazu nun erteilt worden ist, ist nur noch offen, wann und gegen wen sich die ersten Aktionen richten könnten.

Schon in seiner ersten Amtszeit hatte Trump vorgeschlagen, »Raketen auf Mexiko zu feuern« und Drogenlabore zu bombardieren. Niemand werde erfahren, dass es die USA waren, denn das Weiße Haus würde alles abstreiten. Damals noch vom Pentagon davon abgehalten, ist die Idee für ihn jetzt offenbar wieder eine Option. Wie die Washington Post berichtete, erwägt Washington derzeit keinen Einsatz von Bodentruppen in Mexiko. Trump habe aber Überwachungsdrohnenflüge über Mexiko und entlang der US-Südgrenze verstärkt, wo das US-Militär bereits Tausende Soldaten stationiert hat. Die US-Marine habe zudem Kriegsschiffe in die Region entsandt. Ein Team im Büro von Verteidigungsminister Peter Hegseth, die »Joint Service Interagency Advisory Group«, prüft seit Monaten, wie das US-Militär gegen Kartellaktivitäten vorgehen kann. Bedenken des Senators Tim Kaine aus Virginia zeigen, wie ernst der Politiker der Demokraten die Lage einschätzt. »Eine geheime Direktive zu unterzeichnen, die möglicherweise US-Soldaten in Gefahr bringt, ohne den Kongress zu konsultieren, die US-amerikanische Öffentlichkeit zu informieren oder eine rechtliche Grundlage für Angriffe auf das Hoheitsgebiet unserer Nachbarn zu haben, ist kurzsichtig und gesetzeswidrig und wird die kritischen Beziehungen zerstören, die wir zur Bewältigung dieser Herausforderung benötigen«, warnte er. »Wir werden keine ausländischen Militäroperationen auf unserem Territorium dulden«, kommentierte das Außenministerium in Mexiko-Stadt. Doch ob es im Fall der Fälle gefragt würde, darf bezweifelt werden.

Meldungen vom Donnerstag, denen zufolge die USA Luft- und Seestreitkräfte in die südliche Karibik in Marsch gesetzt haben, darunter mehrere P-8-Auf­klärungsflugzeuge, mindestens ein Kriegsschiff und ein U-Boot, weckten Erinnerungen an die unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung erfolgte US-Invasion in Panama im Jahr 1989. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro appellierte an die Staaten der Region, sich gemeinsam gegen die Bedrohung zu wehren, und schlug für kommenden Dienstag eine Dringlichkeitssitzung der lateinamerikanischen Außenminister vor. Er warnte, dass Lateinamerika unter dem Vorwand des Antidrogenkampfes in ein Schlachtfeld wie einst der Balkan verwandelt werden könnte. »Die Minister müssen sich so schnell wie möglich treffen, weil sie uns bedroht haben, weil sie – wie in Gaza – auch das Heimatland von Bolívar angreifen wollen«, so Petro. Die Aufforderung folgte auf seine Erklärung vom Sonntag, in der er »als Kommandeur der kolumbianischen Streitkräfte« betont hatte, dass jeder Interventionsversuch gegen das Nachbarland Venezuela eine Aggression gegen Kolumbien und die lateinamerikanischen Völker darstelle.

Er reagierte damit auf die Behauptung der USA, Venezuelas gewählter Präsident Nicolás Maduro sei der Kopf der venezolanischen Drogenbande »Kartell der Sonnen«. »Maduro nutzt ausländische Terrororganisationen, um tödliche Drogen und Gewalt in unser Land zu bringen«, hatte Trumps Justizministerin Pamela Bondie erklärt. Die USA verdoppelten ein Kopfgeld für Hinweise zur Festnahme Maduros auf 50 Millionen US-Dollar. Er sei »einer der größten Drogenhändler der Welt« und eine »Bedrohung für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten«, so Bondi. Die Regierungen in Bogotá, Guatemala-Stadt, Havanna, La Paz, Managua, Mexiko-Stadt, Tegucigalpa und mehreren Karibikstaaten wiesen die Anschuldigungen gegen Venezuela und Nicolás Maduro zurück, die »die bolivarische Revolution stigmatisieren sollen«. In mehreren Städten Venezuelas beteiligten sich in der vergangenen Woche Tausende an Demonstrationen gegen die Angriffe.

Auch der Teil der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV), der Maduro und seiner Regierung die Verfolgung linker Kritiker vorwirft, verurteilte die jüngsten Drohungen Washingtons. »Der US-Imperialismus agiert weiterhin als Weltpolizist und bereitet den Boden für Interventionen vor, die bereits verheerende Folgen in Lateinamerika und anderen Regionen hatten«, erklärte Politbüromitglied Neirlay Andrade. »Lassen Sie die Finger von Lateinamerika«, wandte sich auch Kolumbiens ehemaliger Präsident Ernesto Samper Pizano in einem auf X veröffentlichten Video an Trump. »Behandeln Sie den Präsidenten Venezuelas nicht als Kriminellen, und denken Sie nicht einmal daran, Truppen in die Region zu schicken, denn damit würden Sie einen Krieg mit schmerzhaften Folgen auslösen«, warnte er.

Hintergrund: Maduro im Visier

Mit 50 Millionen US-Dollar hat Washington das Kopfgeld auf Venezuelas Präsident Nicolás Maduro auf eine Rekordsumme gesetzt – doppelt so hoch wie einst die Prämie für Osama bin Laden. Belohnungen dieser Größenordnung für politische Führer sind in der US-Geschichte selten. 1916 setzte die US-Regierung erstmals 5.000 US-Dollar auf den mexikanischen Revolutionär Pancho Villa aus, 1984 führte sie das »Rewards for Justice«-Programm ein, das unter anderem gegen Panamas in Ungnade gefallenen Staatschef Manuel Noriega (1989) eingesetzt wurde; 2003 bot sie 25 Millionen US-Dollar für Saddam Hussein.

Dazu ergänzend hat Donald Trump seit seiner Rückkehr ins Amt im Januar 2025 umgehend eine Reihe von Notstandsmaßnahmen belebt, darunter den Alien Enemies Act von 1798. Dieses Kriegsgesetz erlaubt weitreichende Maßnahmen, wenn die USA in einem erklärten Krieg stehen oder von einer ausländischen Invasion bedroht werden. Um diese Bedingung zu erfüllen, warf Trumps Justizministerin Pamela Bondi Venezuela vor, eine verbrecherische »Invasion« in die USA zu organisieren. Sie behauptete, Maduro würde eng mit Drogenkartellen zusammenarbeiten und von deren kriminellen Aktivitäten profitieren.

Mehr als vier Jahrzehnte nach Richard Nixons Ausrufung des »Kriegs gegen die Drogen« bleibt dieser ein zentrales außenpolitisches Instrument Washingtons – allerdings ohne erkennbaren Erfolg im eigenen Land, wo der Drogenkonsum hoch bleibt. Kritiker sehen darin vor allem ein Mittel, um militärische Interventionen zu rechtfertigen. Historische Beispiele wie die US-Invasion in Panama 1989, bei der 27.000 US-Soldaten rund 3.000 Menschen töteten und den ehemaligen CIA-Agenten Manuel Noriega wegen »Drogenhandels« stürzten, nähren die Befürchtung, dass Venezuela das nächste Ziel einer »Operation ›Gerechte Sache‹« (Operation Just Cause) werden könnte. Nach der so bezeichneten Invasion installierte Washington in Panama damals eine neue US-hörige Regierung. (vh)

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