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Aus: Ausgabe vom 16.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Abgefahren

DB-Chef Lutz geschasst
Von Ralf Wurzbacher
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Das ist ein Rausschmiss mit fast ohrenbetäubender Ansage. Schon in ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD verbrieft, dass Bahn-Chef Richard Lutz gehen muss, auch der DB-Aufsichtsrat werde neu aufgestellt. Danach herrschte lange Funkstille, während der Staatskonzern seine Kunden munter weiter vergraulte und in Serie Minusrekorde bei der Zuverlässigkeit aufstellte. Nix da mit Neuanfang, dafür monatelanger Umstieg auf Auto und Bus, damit die »Generalsanierung« noch den letzten Fahrgast kostet. Und weil das irgendwie die Bilanzen verhagelt, stehen demnächst Preiserhöhungen von zehn Prozent und mehr ins Haus und wurde Mitte Juni die Familienreservierung abgeschafft. So geht Betriebswirtschaft der Sorte Ballaballa.

In nur drei Monaten hat Lutz Mist gebaut, der für drei Entlassungen reichte. Von seinem Sündenregister in acht Jahren als DB-Chef ganz zu schweigen. Unter seiner Fuchtel geriet eine angeschlagene Bahn zu einer Bahn, die nachgerade um Zerschlagung bettelt. Das war schließlich der eigentliche Zweck seiner Bestellung und die seiner Vorgänger nach der großen Bahnreform, die aus einem funktionstüchtigen Betrieb einen Torso namens Aktiengesellschaft gemacht hat. Tausende Schienenkilometer, haufenweise Ausweichgleise, Bahnhöfe und Beschäftigte wegrationalisieren und dann schluchzen, dass es hakt im System – dafür steht Lutz und auch für Sätze wie diesen: »Ein Zug, der nicht losfährt, kann nun mal nicht zu spät ankommen.« Alljährlich fahren in Deutschland gut 100.000 Züge nicht los.

Aber demnächst wird ja alles besser, verspricht die Bundesregierung, und CDU-Verkehrsminister Patrick Schnieder eine »Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene«. Das kann alles und nichts bedeuten, wahrscheinlich eher nichts. Schnieders Agenda verheißt vor allem großangelegte Verbrennung von Geld. Natürlich will er die »Hochleistungskorridore« in Schuss bringen mittels verheerender Totalsperrungen, natürlich »Stuttgart 21« die Stange halten, dem Irrwitzprojekt, das großflächig den Bahnverkehr ausbremst. Und selbstredend will »Schwarz-Rot« viele Milliarden Euro aus dem »Sondervermögen« für Infrastruktur in die Bahn stecken. Wobei es im Regierungsfahrplan nur an einer Stelle konkret wird, beim Grenzverkehr nach Polen und Tschechien, der »zügig ausgebaut« werde. Hauptsache Panzer und Soldaten können Richtung Osten rollen.

An eine Zerstückelung und Privatisierung der Bahn traut sich die Koalition nicht ran – vorerst. Sofern es mit der DB weiter bergab geht, worauf man wetten kann, wird bestimmt auch die SPD ihre Vorbehalte »mit Bauchschmerzen« überdenken. Für die einzig zielführende Alternative im Sinne von Mensch und Klima, eine echte Bürgerbahn, gemeinnützig verfasst und solide finanziert, müssten die Menschen auf die Straße gehen. Stand jetzt ein ziemlich abgefahrener Gedanke.

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  • Leserbrief von Christian Helms aus Dresden (18. August 2025 um 12:37 Uhr)
    Mit den Worten: »In drei Monaten hat Lutz Mist gebaut, der für drei Entlassungen reicht« haut der Verfasser in die gleiche Kerbe wie die üblichen Verdächtigen. Dass Richard Lutz wegen seiner Entlassung Bürgergeld beantragen muss, ist nicht zu befürchten. Noch für 2022 wurden seine Leistungen mit monatlich 186.666 Euro honoriert (Gehalt plus Bonus). Das nur am Rande. Denn die Gründe für den Niedergang der DB liegen tiefer. Er begann vor 30 Jahren mit der Bahnreform eines Herren Mehdorn. Von der Politik beauftragt, sollte er die Bahn privatisieren, sie mit radikalen Sparmaßnahmen gewinnträchtig, für Investoren interessant und damit für die Börse tauglich machen. Das Vorhaben scheiterte. Doch die Weichen waren falsch gestellt. Den zehn Verkehrsministern zwischen 1993 bis 2025 gelang es nicht, sie zu korrigieren. Allerdings war auch keiner länger als eine Legislaturperiode im Amt. Zudem war keiner der Herren für die notwendige fachliche Qualifikation bekannt. Erinnert sei an Herrn Scheuer und sein Mautdebakel. Fünf Verkehrsminister stellte in diesem Zeitraum die SPD, Müntefering, Klement, Bodewig, Stolpe und Tiefensee. Danach vier die CDU/CSU, Wissmann, Ramsauer, Dobrindt und Scheuer. Vor dem gegenwärtigen Amtsinhaber Schnieder (CDU) amtierte Wissing (FDP). Zur »Schiene«: Von 1995 bis 2018 investierte Deutschland durchschnittlich pro Kopf und Jahr 68 Euro in das Schienennetz, die Schweiz 300 Euro, Österreich 161 Euro, Frankreich 88 Euro. Im gleichen Zeitraum gaben Deutschland und Frankreich mehr als doppelt so viel pro Kopf und Jahr für Straßen und Autobahnen aus. In der Schweiz waren es halb so viel, in Österreich ein Drittel. Für den desolaten Zustand der Bahn sind weniger die jeweiligen DB-Chefs verantwortlich. Eher noch die jeweiligen Minister. Doch vor allem war und ist es eine Frage des politischen Willens, eine umwelt- und klimagerechte Verkehrspolitik durchzusetzen, die dafür notwendigen Mittel bereitzustellen. Je schwächer dafür der politische Wille, je geringer die Kompetenz der jeweiligen Ressortchefs, umso leichter gelingt es den entsprechenden Lobbygruppen die Interessen ihrer Geldgeber durchzusetzen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (17. August 2025 um 10:20 Uhr)
    Die einst stolze Deutsche Reichsbahn, die vor über hundert Jahren bereits die Strecke Nürnberg–Stuttgart in unter zwei Stunden bewältigte – ein Tempo, das heute nicht mehr erreicht wird –, befindet sich inzwischen in einem beklagenswerten Zustand. Richard Lutz allein dafür verantwortlich zu machen, wäre sicher zu kurz gegriffen. Dennoch ist seine Entlassung nachvollziehbar, denn in seiner Amtszeit kam es nicht zu den erhofften Verbesserungen, sondern vielmehr zu einer deutlichen Verschlechterung. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Österreich: Die ÖBB gilt als pünktlich, zuverlässig und sauber. Unter der Führung von Christian Kern (2010–2016) wurde sie erfolgreich auf den richtigen Kurs gebracht. Nicht umsonst drohten die ÖBB sogar, unpünktliche Züge aus Deutschland nicht mehr ins Land zu lassen, da sie die eigenen Fahrpläne gefährdeten. Lutz’ Nachfolger steht nun vor einer gewaltigen Aufgabe. Wir Reisenden wünschen ihm das nötige Geschick und Glück – im Interesse einer Bahn, die endlich wieder Vertrauen verdient.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (16. August 2025 um 15:18 Uhr)
    Jetzt ist es endlich offiziell, was von »gut unterrichteten Greisen« schon lange kolportiert wurde: Jim Knopf soll neuer DB Bahn-Chef werden. – Es geht voran!
  • Leserbrief von B.S. aus Ammerland (15. August 2025 um 22:30 Uhr)
    Lutz wurde nur installiert, um die Deutsche Bahn zerschlagen zu können und sie dann im Privatisierungstaumel endgültig aufs Abstellgleis zu fahren. Und gegen einen gutbezahlten Ruheposten hat Lutz auch nichts einzuwenden. The same old story! Dabei heißt es doch immer »Made in Germany«, also übersetzt: Da ist der Wurm drin. Nichts hat so viel Wahrheit wie dieser Spruch. Deutschland und die Bahn – die zwei Seiten einer Medaille.

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