Neoliberale wollen an die Macht
Von José Pfluger
Erstmals seit den Erdrutschsiegen von Evo Morales, dem Aushängeschild der linken MAS, könnte die rechte Opposition Boliviens bei den Wahlen am Sonntag eine reale Chance auf einen Machtwechsel haben. Manche Medien und Kommentatoren haben schon über einen Sieg in der ersten Runde spekuliert. Die traditionell rechten Kandidaten eint neben ihrer kreolischen Abstammung und ihrem hohen Alter eine klare Ablehnung des plurinationalen Staatsmodells sowie der von der MAS betriebenen Verstaatlichungen. Wenn die Rechte an die Macht kommt, ist entsprechend ein Ausverkauf der reichen Ressourcen Boliviens nahezu programmiert. Jhonny Fernández, Bürgermeister von Santa Cruz de la Sierra, Rodrigo Paz Pereira, Sohn des neoliberalen Expräsidenten Jaime Paz Zamora aus Tarija, und Cochabambas Bürgermeister Manfred Reyes Villa haben laut Umfragen jedoch keine realistischen Erfolgschancen.
Anders sieht es bei Jorge »Tuto« Quiroga und vor allem Samuel Doria Medina aus. Die beiden rechten Kandidaten erreichen konstant stabile zweistellige Umfragewerte. »Tuto« Quiroga war von 2001 bis 2002 Präsident und verfolgte eine harte Antidrogenpolitik mit Unterstützung der US-amerikanischen DEA (Drug Enforcement Administration). Er hat in den USA studiert und enge Verbindungen zur Regierung in Washington. Sein Kurs führte im Chapare, einer Hochburg des MAS, zu tödlichen Konflikten mit den Cocabauern um Evo Morales.
Der wirtschaftsliberale Politiker und Unternehmer Samuel Doria Medina war von 1991 bis 1993 Planungsminister. Seine Partei Unidad Nacional hatte bei den Präsidentschaftswahlen 2014 noch kein Glück, was ihm den Spitznamen »Khencha« (Pech) einbrachte. Morales gewann damals mit 61 Prozent der Stimmen. 2017 tauchte Doria Medinas Name in den »Panama Papers« im Zusammenhang mit mutmaßlicher Steuerhinterziehung auf – juristische Konsequenzen blieben jedoch aus. Heute inszeniert er sich als Sanierer der Staatsfinanzen und spricht vor allem die städtische Mittelschicht an. Sollte es ihm gelingen, auch in der informellen Wirtschaft tätige Selbständige für sich zu gewinnen, könnte er am ehesten einen Überraschungserfolg erzielen.
Wer schon jetzt vom sicheren Sieg der Rechten spricht, betreibt Stimmungsmache. Trotz starker Umfragewerte rechter Kandidaten wie »Tuto« Quiroga und Samuel Doria Medina ist ein Wahlsieg im ersten Wahlgang unwahrscheinlich. Dafür sind entweder eine absolute Mehrheit oder mindestens 40 Prozent mit zehn Punkten Vorsprung zum nächsten Kandidaten nötig. Bei der derzeitigen Fragmentierung gilt dieses Szenario als unwahrscheinlich, aber auch nicht ganz ausgeschlossen. In der Vergangenheit erwiesen sich viele der medial veranstalteten Umfragen als unzuverlässig, da in der Regel die Landbevölkerung, die überproportional häufig den MAS wählte, zuwenig befragt wurde.
Derzeit ist ein großer Teil derjenigen, die 2020 MAS gewählt haben, unentschlossen. Sie könnten sich spontan entscheiden, ungültig zu wählen, wie Morales es propagiert hat. Da es eine staatlich verordnete Wahlpflicht mit empfindlichen Geldstrafen bei Nichtbefolgen gibt, könnten die ungültigen Stimmen also einen erheblichen Anteil erreichen. Oder ein rechter Politiker wird »aus Protest« gegen den MAS gewählt. Die Gefahr eines rechten Wahlsieges ist so groß wie noch nie, aber kein Automatismus.
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vom 16.08.2025