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Aus: Ausgabe vom 12.08.2025, Seite 5 / Inland
Wirtschaftskrise

Bei Pleiten spitze

Zahl der Insolvenzen auf Rekordkurs, schlecht gefüllte Auftragsbücher, immer mehr Jobverluste. Nur Bankenchefs voller Hoffnung
Von Ralf Wurzbacher
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Drei Millionen Erwerbslose erwartet: Eine Pleite bedeutet insbesondere auch Jobverlust

Ja, wo bleibt er denn nun – der Aufschwung? Immer wieder hört man irgendwelche Weissager behaupten, das Schlimmste sei überstanden und Deutschland auf gutem Weg, sich ökonomisch zu berappeln. Und dann funken ständig diese üblen Vermesser der Realität dazwischen und trampeln brutal das Pflänzchen Hoffnung platt. Den Miesmacher gab am Montag einmal mehr das Statistische Bundesamt: Die Zahl der angemeldeten Firmenpleiten ist demnach im Juli so stark gestiegen wie seit vergangenem Oktober nicht mehr. Gegenüber dem Vorjahresmonat legte der Wert um 19,2 Prozent zu, vermeldete die Behörde mit Sitz in Wiesbaden. Dabei hatte es noch im Mai mit einem moderaten Plus von rund fünf Prozent Anzeichen einer Trendwende gegeben. Daraus wird dann wohl doch nichts.

»Die Wirtschaftskrise dauert an – und deshalb wächst die Welle der Unternehmensinsolvenzen weiter«, gab am Montag der Spiegel in seiner Onlineausgabe den Konjunkturexperten der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Jupp Zenzen, wieder. »Die Liquidität vieler Betriebe ist nach zwei Jahren Rezession angeschlagen«, ein starker Belastungsfaktor seien insbesondere die hohen Energiekosten. Zur zerstörerischen Abnabelung vom Gas und Öl aus Russland kommt jetzt auch noch der »Zolldeal« mit Donald Trump, der den Substanzverlust der EU-Industrie weiter verschärfen wird. Die DIHK hat ihre Mitglieder zu den möglichen Auswirkungen befragt. Ergebnis: Knapp 60 Prozent der Firmen rechnen mit »mittleren« oder »deutlichen« Belastungen, jene mit US-Geschäft sogar zu 74 Prozent. Angesichts dessen sprach Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov von einer »bitteren Pille«.

Die müssen zumeist die Beschäftigten schlucken. Zu den prominenteren Pleitiers, die dieser Tage Zahlungsunfähigkeit verkündet haben, zählen etwa die deutsche Modemarke Colours & Sons, das Hamburger Label Closed, der Schienenlogistiker Helrom und mehrere Bayernstandorte der Elektronikkette Expert. Stets stehen dabei Arbeitsplätze auf dem Spiel, und oft verlieren die Betroffenen am Ende ihren Job. Aktuell gelten 2,98 Millionen Menschen in Deutschland offiziell als erwerbslos, der Sprung über die Marke von drei Millionen wird bei der Abrechnung für August erwartet. Die Statistik für Juli bei den Insolvenzen basiert auf vorläufigen Daten. Amtlich und damit präziser sind die Zahlen für Mai, in dem in Summe 2.036 Insolvenzen bei den zuständigen Amtsgerichten beantragt worden waren. Mehr waren es nie in den zurückliegenden sieben Jahren; gegenüber Mai 2024 betrug der Zuwachs 5,3 Prozent.

Am anfälligsten zeigte sich der Bereich Verkehr und Lagerei mit 10,9 Fällen auf 10.000 Unternehmen. Danach folgten das Baugewerbe mit 9,4 sowie das Gastgewerbe mit neun Fällen. Der Mittelwert über alle Branchen hinweg betrug 5,9. Die Forderungen der Gläubiger beziffern die Statistiker mit rund 3,2 Milliarden Euro, nach rund 3,4 Milliarden Euro ein Jahr davor. Gravierend ist auch die Zunahme bei den Verbraucherinsolvenzen. Im Mai gab es davon laut Bundesamt 6.605 und damit im Vorjahresvergleich über 16 Prozent mehr. Erst in der Vorwoche hatte das Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) eine Erhebung zu den Bankrotten bei Personen- und Kapitalgesellschaften vorgelegt. Die Forscher zählten davon im Juli 1.588. Das waren 13 Prozent mehr als ein Jahr davor und 64 Prozent mehr als in einem durchschnittlichen Juli der Jahre 2016 bis 2019, also vor der weltweiten Pandemie.

Nach IHW-Einschätzung spielen bei der Entwicklung neben der konjunkturellen Dauerflaute auch langfristige Faktoren eine Rolle. So hätten Coronahilfen und die lange Zeit niedrigen Zinsen Unternehmen künstlich am Leben erhalten. Wegen des Wegfalls der Unterstützung und verteuerter Kredite hätte ab 2022 ein Nachholeffekt bei den Pleiten eingesetzt, der bis heute anhalte. Verbreitet schlecht gefüllte Auftragsbücher tun ihr übriges bei der Misere. Einer aktuellen Umfrage des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung München (Ifo) zufolge beklagen dies fast 37 Prozent der Unternehmen in Deutschland. Betroffen sind demnach im speziellen der Automobil- und Metallsektor sowie Leiharbeits- und PR-Unternehmen. Ferner verzeichneten zwei Drittel der Groß- und die Hälfte der Einzelhändler eine unzureichende Nachfrage.

Derweil blickt wenigstens ein Wirtschaftszweig mit Euphorie in die Zukunft. Wie das Handelsblatt am Montag berichtete, bauen die hiesigen Geldinstitute auf einen vermeintlich bevorstehenden Boom bei der Kreditvergabe, befeuert durch das von der Bundesregierung geplante Infrastrukturpaket über 500 Milliarden Euro sowie den beschlossenen Blankoscheck zur Hochrüstung Deutschlands. »Das wird unser Geschäft ankurbeln«, zitierte die Zeitung Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. Der hat 2024 fast zehn Millionen Euro »verdient«. Da tut Aufschwung bitter not.

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