Al-Schabaab auf dem Vormarsch
Von Knut MellenthinBei einer einwöchigen Militäroperation gegen die bewaffneten Islamisten von Al-Schabaab seien über 100 Terroristen getötet und mehrere andere lebend gefangengenommen worden, meldete das Verteidigungsministerium Somalias am Freitag. Die Nationalarmee des Landes habe in Zusammenarbeit mit Angehörigen der ugandischen Streitkräfte, die Teil der in Somalia stationierten Interventionstruppe der Afrikanischen Union (AU) sind, die strategisch wichtige Stadt Bariire in der Region Unter-Schabelle von Al-Schabaab befreit und führe jetzt »Säuberungsoperationen« in der Stadt und ihrer Umgebung durch. Die eigenen Verluste gab das Militär mit zwei getöteten und zwölf verletzten Soldaten an. Gleichzeitig berichteten somalische Medien unter Berufung auf »militärische Quellen«, dass mindestens 17 Soldaten aus Uganda, die die Hauptlast der Kämpfe getragen hätten, ums Leben gekommen seien.
Bariire liegt nur 60 Kilometer südwestlich von Mogadischu. Es ist die zweite von Al-Schabaab besetzte Stadt der Region, die in den vergangenen Monaten zurückerobert wurde. Dass die Aufständischen, die mit der nur noch als Phantom existierenden Al-Qaida in Verbindung gebracht werden, so nahe an die Hauptstadt herangerückt sind, ist die eigentliche Nachricht hinter den gemeldeten Vorgängen. Internationale Analysten stellen übereinstimmend fest, dass Al-Schabaab, die vor einigen Jahren zurückgedrängt und fast geschlagen schien, in jüngster Zeit wieder auf dem Vormarsch ist. Im Februar hat die Organisation eine schwungvolle Offensive gestartet, in deren Verlauf ihr Dutzende Dörfer und Kleinstädte in den Regionen rund um Mogadischu in die Hände fielen. Bariire hatten die Aufständischen im März kampflos besetzt, nachdem sie eine Brücke zerstört hatten, die für die gegnerischen Nachschublinien existentiell wichtig war, und die Regierungstruppen sich zurückgezogen hatten.
Seit vorigem Jahr wird besonders in Zentralsomalia eine Expansion Al-Schabaabs von ländlichen Gebieten in die Städte verzeichnet. Militärisch können die islamischen Fundamentalisten diese allerdings nie lange halten. Waffentechnisch sind sie den Interventionstruppen aus mehreren afrikanischen Staaten, aber auch den von ausländischen Offizieren ausgebildeten somalischen Spezialeinheiten unterlegen. Al-Schabaabs Stärke besteht darin, in den von ihr kontrollierten Gebieten eine Verwaltung aufzubauen und zu betreiben, die sich positiv vom Chaos streitender und sich zum Teil sogar militärisch bekämpfender Regionalpolitiker abhebt, denen vielfach Korruption vorgeworfen wird. Al-Schabaab installiere sich als »Parallelautorität«, gebe der Bevölkerung Sicherheit, juristische Dienste, Vermittlung bei persönlichen Konflikten, halte Verbindungswege für Menschen und Gütertransporte durch Checkpoints offen und sei in der Lage, Steuern zu erheben, berichten somalische Medien.
Beobachter schreiben den Aufständischen außerdem eine veränderte Taktik zu. Ihr Verhalten ziele jetzt darauf ab, die Bewohner der von ihnen kontrollierten Gebiete zu gewinnen, Vergeltung gegen frühere Unterstützer der Regierung zu vermeiden und die Beeinträchtigung von Zivilisten durch Angriffe zu verringern. Das habe in der allgemeinen Wahrnehmung und sogar bei den »Eliten« zu einer positiveren Einstellung geführt. Die Fähigkeit der Organisation, lokale Bündnisse einzugehen und sich in die Clanstrukturen zu integrieren, sei sogar in städtischen Gebieten gewachsen.
Als eine der Ursachen für den Einfluss der Aufständischen wird auch das Agieren der ausländischen Soldaten genannt, die schon seit 2007 unter wechselnden Namen mit einem Mandat der Afrikanischen Union und mit Billigung des UN-Sicherheitsrats aktiv sind. Teilweise überschneiden sich diese »Missionen« auch mit unkontrolliert auf somalischem Gebiet operierenden Interventionstruppen, vor allem im Fall des Nachbarlandes Äthiopien.
Den ausländischen Soldaten werden vielfache und massive Menschenrechtsverletzungen, darunter Vergewaltigungen, bewaffneter Raub und außergerichtliche Tötungen, vorgeworfen. Dadurch sei die öffentliche Unterstützung solcher Einsätze, soweit sie überhaupt jemals vorhanden war, abhandengekommen. Kritisiert wird auch, dass das Personal der AU-Missionen praktisch rechtliche Immunität genießt, also unkontrolliert, ohne Rechenschaftslegung und straffrei agiert.
Im Fall der seit Jahresanfang aktiven, auf eine Gesamtstärke von rund 12.000 Mann geplanten »Aussom« – die Abkürzung steht für African Union Support and Stabilization Mission – kommt hinzu, dass ihre Finanzierung immer noch nicht gesichert ist und dass es heftige Auseinandersetzungen um die zu beteiligenden Staaten und den Umfang der nationalen Kontingente gibt. Besonders umstritten sind die Rollen Äthiopiens und Ägyptens, deren Führungen immer stärker und offener versuchen, eigene Interessen in Somalia durchzusetzen. Generell ist festzustellen, dass das von inneren Widersprüchen zerrissene, nicht zentral regierbare Land der politischen und wirtschaftlichen Einmischung und Einflussnahme großer ausländischer Akteure ausgesetzt ist. Neben Äthiopien und Ägypten sind das vor allem die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Hintergrund: Unbeliebter Präsident
Ein Treffen, zu dem Präsident Hassan Sheikh Mohamud die »starken Männer« der somalischen Opposition eingeladen hatte, endete am Sonntag ohne Ergebnisse und mit sich verstärkenden Meinungsverschiedenheiten. Besonders gestritten wurde über Verfassungsänderungen, die Mohamud ohne Konsens durchzusetzen versucht, und die Regeln der im nächsten Jahr fälligen Wahlen. Außerdem haben zwei der sechs Bundesstaaten Somalias, Puntland und Jubaland, die Zusammenarbeit mit der Zentralregierung in Mogadischu offiziell unterbrochen. Ohne Probleme sind deren Beziehungen auch zu den übrigen Bundesstaaten nicht.
Mohamuds reguläre Amtszeit endet im Mai 2026. Er will erreichen, dass die nächste Präsidentenwahl in direkter Form nach dem System »One person, one vote«, also mit allgemeinem und gleichem Stimmrecht, stattfindet. Das wäre für Somalia das erste Mal seit Jahrzehnten. Die letzten Wahlen fanden alle in einem Delegationsverfahren statt, das als »4.5« bekannt ist. Dabei werden nach einem festgelegten Schlüssel, aber in einem nicht öffentlich transparenten Verfahren Clanführer und andere einflussreiche Personen ausgewählt, die ihrerseits ohne demokratische Abstimmung den Präsidenten und die Parlamentsmitglieder bestimmen, oder richtiger gesagt, aushandeln.
Einige Gegner Mohamuds wollen daran festhalten. Der im Land und international unbeliebte Präsident wirbt damit, er wolle nach 54 Jahren indirekter Wahlen dem Volk die Macht zurückgeben. Zum letzten Mal wurde in Somalia 1969, neun Jahre nach Erreichen der staatlichen Unabhängigkeit, nach dem Verfahren »One person, one vote« gewählt. Kritiker werfen Mohamud vor, er wolle hauptsächlich seine eigene Machtstellung stabilisieren und beabsichtige durch Verfassungsänderungen den Wechsel von einem parlamentarischen zu einem Präsidialsystem. (km)
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