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Aus: Ausgabe vom 07.08.2025, Seite 7 / Ausland
Israel

Generalstaatsanwältin gefeuert

Israel: Premier Netanjahu kämpft nicht nur gegen den Internationalen Strafgerichtshof, sondern auch gegen die eigene Justiz
Von Knut Mellenthin
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Der Widerstand gegen die Politik der ultrarechten Regierung wird auch in Israel immer größer (Jerusalem, 4.8.2025)

Mit der Absetzung der Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara hat die von Benjamin Netanjahu geführte israelischen Regierungskoalition aus Rechter und extremer Rechter den innenpolitischen Streit an einer weiteren Front verschärft. Am Montag votierte das Kabinett einstimmig für die Entlassung Baharav-Miaras und folgte damit einem Antrag von Justizminister Jariv Levin (Likud). Der seit mehreren Monaten vorbereitete Schritt ist Teil der »Justizreformen«, mit denen das Regierungslager seit seiner Machtübernahme im Dezember 2022 die Stellung der Justiz zu schwächen und seinen Spielraum zu erweitern versucht. Dieses Thema hatte in der ersten Jahreshälfte 2023 Massenproteste und Widerstand der Opposition ausgelöst, war aber durch den 7. Oktober und den immer brutaler geführten Krieg gegen die Bevölkerung des Gazastreifens in den Hintergrund der innenpolitischen Auseinandersetzungen gerückt.

In der Geschichte des zionistischen Staates ist es erst das zweite Mal, dass eine Regierung den Generalstaatsanwalt entlässt – und das erste Mal seit vier Jahrzehnten. Das Kabinett hatte das formale Verfahren am 23. März mit einem ebenfalls einstimmig beschlossenen Misstrauensvotum gegen Baharav-Miara eingeleitet, die dieses Amt als erste Frau ausübt. Sie war im Februar 2022 von der vorigen Regierung unter Naftali Bennett (Neue Rechte) ernannt worden, einem einmalig breiten, aber innerlich schwachen Oppositionsbündnis, das die jetzt schon mehr als 14jährige Dauerherrschaft Netanjahus nur für wenige Monate unterbrochen hatte.

Unmittelbar nach Baharav-Miaras Entlassung intervenierte der Oberste Gerichtshof mit einer einstweiligen Verfügung, in der er die Entscheidung des Kabinetts für »eingefroren« erklärte und ihren Vollzug untersagte. Damit ist der Regierung bis auf weiteres auch die Ernennung eines Nachfolgers verboten. Das gilt nach dem Spruch des Obersten Gerichtshofs, bis die Justiz über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Netanjahu-Regierung urteilen kann.

Diese demonstriert jedoch, dass sie die einstweilige Verfügung missachten will. Kommunikationsminister Shlomo Karhi (Likud) wies das Personal der von ihm geleiteten Behörde am Dienstag an, Baharav-Miaras Autorität nicht länger anzuerkennen und sie zu »ignorieren«. Praktisch geht es dabei um eine Besonderheit im israelischen Justizwesen: Der Generalstaatsanwalt ist nicht nur Chefankläger, sondern auch ein wichtiger juristischer Berater der Regierung. Baharav-Miara sei nicht mehr berechtigt, Meinungen zu Rechtsfragen abzugeben, heißt es in einem von Karhi verbreiteten Memorandum. Wenn sie das trotzdem tue, sei das »ohne jede Gültigkeit«. Damit ist offen erklärt, dass das Regierungslager sich nicht an verfassungsmäßige und legale Grundsätze halten will.

Baharav-Miara sieht sich nicht an die Kabinettsentscheidung gebunden, die sie als »unrechtmäßig« ablehnt, und will ihre Arbeit »professionell und ehrlich« fortsetzen. Sie hatte sich der Teilnahme an dem Verfahren gegen sie verweigert, indem sie weder zu den Anhörungen noch zur Abstimmung am Montag erschien. Oppositionsführer Jair Lapid von der liberalen Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) nannte Karhi wegen seines Vorgehens einen »kriminellen Minister« und kündigte eine Strafanzeige gegen ihn wegen »Anstiftung und Volksverhetzung« an. Der Abgeordnete Gilad Kariv von den Demokraten – einem erst ein Jahr alten Zusammenschluss der sozialdemokratischen Arbeitspartei mit der etwas linker auftretenden Meretz – warnte, dass Israel sich »einen Schritt von einer Verfassungskrise entfernt« befinde. Benny Gantz, der Vorsitzende der rechtszentristischen Partei Blau-Weiße Einheit, tadelte Netanjahu, er sei für Karhis Weigerung, der Anweisung des Obersten Gerichtshofs zu folgen, verantwortlich. Mit einer unmittelbaren Zuspitzung des Streits ist aufgrund dieser ersten Äußerungen von Oppositionsseite nicht zu rechnen. Die nächsten regulären Wahlen sind erst im Oktober 2026 fällig.

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