»Aber nichts davon löscht Israel aus«
Interview: Richard Malone
Beim Deichbrand-Festival in Niedersachsen trat Mitte Juli der US-Künstler Macklemore auf. Es folgten Antisemitismusvorwürfe gegen den Sänger, der den Genozid in Gaza anprangerte. Sie waren bei dem Konzert. Wie hat das Publikum reagiert?
Es war eine Mischung aus Stille und Jubelrufen. Neben mir murmelte es: »Der wird hier nie wieder eingeladen.« Viele haben die englische Rede nicht unbedingt im Detail verstanden.
Was hat er gesagt?
Übersetzt sagte er: »Sie haben mich zum Schweigen aufgefordert, aber ich werde nicht gehorchen. Free Palestine! Freiheit für alle. Frei von kolonialem Gedankengut und kolonialen Handlungen. Frei von Unterdrückung. Frei von den Besatzungskäfigen.« Die Vorwürfe, es sei antisemitisch, »sich gegen Israels Genozid am palästinensischen Volk auszusprechen«, hatte er antizipiert. »Lasst euch von der kolonialen Sprache nicht täuschen«, appellierte er ans Publikum. »Unsere Regierungen, ob die der USA oder Deutschlands, wollen, dass wir unsere gemeinsame Menschlichkeit vergessen.« Jeder müsse gegen die »Mittäterschaft in diesem Genozid« der Regierungen protestieren. »Die Menschen in Gaza werden absichtlich ausgehungert, eingemauert, überwacht, von der Welt abgeschnitten«, sagte er. Der Hungertod der Palästinenser sei »kein Nebeneffekt«, sondern »eine Strategie«.
Wie ordnen Sie die Kontroverse ein?
Vorab hatte der Antisemitismusbeauftragte in Niedersachsen, Gerhard Wegner, Festivalbesuchenden geraten, vor Macklemores Auftritt abzureisen. Macklemores Ausladung wurde wiederholt gefordert, zum Beispiel vom Zentralrat der Juden, aber auch von Wegner. Da sich der Auftritt nicht vermeiden ließ, reiste Wegner mit einem fünfköpfigen Expertengremium an. Er war auch die leitende Stimme in der Reaktion auf Macklemores Rede.
Gegenüber dem NDR sagte Wegner, der Sänger habe »von Israel als Kolonialstaat und von Genozid und all diesen Sachen geredet«. Das sei vertretbar, wenn »man es in einen Kontext stellt, wo das Existenzrecht Israels auch betont wird«.
Dass man überhaupt von einem Genozid und von Israel als Kolonialstaat reden darf, ohne direkt des Antisemitismus bezichtigt zu werden, ist recht neu. Trotzdem lässt Wegner Macklemores Kommentar zur Mittäterschaft Deutschlands unerwähnt und fokussiert sich auf Israel – wohingegen sich Macklemore auf die Menschen Palästinas und auf die Verantwortung des Publikums konzentriert hatte.
Wegners Israel-Fokus ist typisch für den deutschen Mainstreamdiskurs. Typisch ist auch die zweite Hälfte seines Kommentars. Da unterstellt er Macklemore, in einer Art und Weise gesprochen zu haben, als könne man Israel einfach auslöschen. Die Auslöschung Israels sei also in Macklemores Rede implizit. In einem Welt-Interview vor dem Auftritt wird klarer, wo Wegner das impliziert sieht: in der Bezeichnung Israels als Kolonialstaat. Wegner sagt, dass Macklemore Netanjahu »als Kolonisator bezeichnet, und wenn man jemanden als Kolonisator bezeichnet, dann ist er sozusagen zum Abschuss freigegeben«. Historisch ist das eher andersrum. Kolonisatoren geben Menschen zum Abschuss frei – so wie Israel gerade nahrungssuchende Menschen abschießt. Wegner benutzt die Kontroverse, um Kolonialismuskritik zu delegitimieren.
Welche Funktion hat die Rede vom Existenzrecht Israels?
»Existenzrecht« suggeriert einen Begriff, den das internationale Recht nicht kennt. Die Existenz von Staaten kann anerkannt werden. Israel ist Mitglied der UN, Israel existiert. Von uns wird ein Glaubensbekenntnis verlangt. Wenn ich eins ablegen will, geh ich in die Kirche oder in die Moschee. Aber unsere Politiker sollten uns das nicht abverlangen. Meiner und Macklemores Meinung nach sowie den Einschätzungen Hunderter Expertinnen und Experten zufolge verübt Israel gerade einen Völkermord. Da ist die drängende Frage nicht, ob wir glauben, dass Israel ein Recht hat zu existieren.
Es muss den Völkermord beenden. Es muss ihn aufarbeiten. All das geht auf Kosten Israels, aber nichts davon löscht Israel aus. Mir scheint, mit »Existenzrecht« wird gemeint, dass Israel genauso bestehen bleiben darf, wie es jetzt gerade ist. Daran glaube ich nicht. Und Macklemore auch nicht.
Lara Krause-Alzaidi ist Soziolinguistin und Dozentin für Afrikastudien an der Universität Leipzig
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