Soll und Haben
Von Rüdiger WartuschDer Himmel weinte zu Recht. Musste er doch mit Ozzy Osbourne einen weiteren Helden unseres Lieblingsgenres endgültig an sein lichtloses Gegenüber verloren geben. Die sonst eher wenig nennenswerte Tribute-Band Ozzyfied hatte am Mittwoch denn auch leichtes Spiel, die widrigen Winde beim Wacken Open Air (W:O:A) 2025 vergessen zu machen. Wenn dann noch Mastodon und Walls of Jericho wie Landregen über die Crowd hereinbrechen, ist eh kein Halten mehr. The show goes on and on.
Und wie! – Der musikalische Nachwuchs von Alpha (thrashiger Death-Metal aus Uruguay) bis Deadline (Post-Death-Metal aus Polen) spielt sich den Arsch ab und zeigt, dass es keine schlechten Musiker mehr gibt auf diesem Planeten. Allemal reicht die Bandbreite, um den truen Oldschooler den Kopf auch mal seitwärts schütteln zu lassen: Die Manga-Mädels von Hanabie etwa spielen J-Pop-Core für den Nachwuchs, und auch das kann Spuren von Metall enthalten. Die Melodeather Nyktophobia aus Datteln (NRW) überzeugen zumindest musikalisch, während Hellbound aus Bulgarien mit einer einmalig sportiven Bühnenshow ihren »Jumbish« Metal (das ist übrigens Urdu für »Bewegung«) präsentieren. Auf allen Bühnen stürmisches Treiben.
Doch waren düstere Wolken aufgezogen: Kritik war laut geworden im flachen Land, dass Wacken zu groß geworden sei und zuviel Brimborium vom Eigentlichen ablenke. Einerseits. Aber auch, dass alles doch so aus-rechenbar sei. »Ist doch immer das gleiche«, begründet ein Metalbrother sein diesjähriges Fernbleiben und legt zu Hause seine alten 80er Scheiben auf: Destruction, Grave Digger, Michael Schenker, Krokus … Weil die ja hier auch alle spielen, du Alupfosten?
Zugegeben, adipöse Dimensionen hat es schon angenommen, das Festival. Doch stimmen die Proportionen. Ohnehin schwebt über allem eine heimelige Oldschool-Nostalgie, dazu gibt’s Neues und Überraschendes en masse. Die Nice-to-haves überwiegen deutlich solche Peinlichkeiten wie die Reimanns, DJ Markus Babbel oder die neue Hymne, die auf der nach unten offenen Ballermann-Skala tief geht (ich hatte ja gewarnt, siehe jW vom 10.8.2022).
Zum Glück gibt es manche Gegenbewegung, Growl-Kurse mit Britta Görtz etwa, und musikalisch sowieso. Aber auch im Umfeld passiert einiges, so unter dem Hashtag »#green-wacken«. Löblich sind beispielsweise die Bemühungen in Sachen Barrierefreiheit – nach Rollipodesten und Gebärdensprache hat es nun auch Frauenurinale. Oder bezüglich Nachhaltigkeit: Neben Kippenrecycling, Trockenklos und einem matschlosen Waldweg gibt es am Campground jetzt so was wie das Freistoßspray im Fußball, was gut 100 Kilometer Flatterband erspart. Alles prima Ansätze, die so ein Riesenevent durchaus verträglicher machen.
Die wirklich wichtigen Fragen stellt die Zukunft, ich sag’ nur Altersstruktur und demographischer Wandel. Das Publikum wächst nach, keine Frage, aber wer sind die Headliner von morgen? Gojira machen das heuer gewohnt stilsicher, sind aber vielleicht zuwenig Rockstars für die ganz große Lösung. À propos … nur einen olympischen Steinwurf entfernt fällt der Name Bob Geldof. »Sir« nicht vergessen. Der ist mal überhaupt kein Metal, hat mit seinem New-Wave-Punk aber doch den Weg für Alternative bereitet. Ein One-Hit-Wonder waren die Boomtown Rats zumindest in England nie. Auch bei Ugly Kid Joe und Angel Witch offenbart das Warten auf eben diesen einen Song, den alle kennen, dass manch ein Backkatalog mehr bietet, als Charts und Playlisten verraten.
Wie war das jetzt mit den Head-linern? Spät gemeldet wurden dieses Jahr Guns N’ Roses, deren Œuvre mit einer Handvoll Scheiben in 40 Jahren eher überschaubar geblieben ist. »Dreieinhalb Stunden spielen die? Haben doch nur zwei gute Alben gemacht …« – »Nee, ›Illusion‹ waren zwei Platten, Metalbrother!« – »Aber der Rest war kacke!!« Fair enough.
Ein Highlight ist es dann trotzdem, wie sich Axl Rose alle Mühe gibt, gesanglich mit W.A.S.P.s Blackie Lawless mitzuhalten. Schafft er zwar nicht, doch seine Kopfstimme hat immerhin etwas Altersmildes. Was nicht recht zur Rockmusik mit ihrem konstitutiven Jugendwahn passen mag, aber es sei ihm verziehen, allein schon weil Blackie offen dem Trumpismus anheimgefallen ist – in diesem Untergenre ja leider kein Einzelfall. Die Unmöglichkeit eines ausgeglichenen Saldos zwischen moralischem Soll und musikalischem Haben zerreißt uns, als wir »I’m blind in Texas« mitgrölen, doch die offenkundige Ironie lässt leise schmunzeln.
Unnötig zu erwähnen, dass Dutzende Bands mit Ozzy-Reminiszenzen ein Stück Trauerarbeit verrichteten. Wer von all den neuen Combos mal auf die großen Bühnen hinüberwechseln kann, wird sich zeigen. Mit den sympathischen Teenies von Morsrot sind die ersten Malteser am Start, die mexikanischen Speedies von Hellmidian huschen vorbei, doch leider verhallt letztlich selbst der feine Extreme Death von Vhill aus Venezuela wie ein Furz im Flugzeughangar.
So groß wie Metallica wird vermutlich ohnehin niemand mehr. Für Festivals gilt wohl dasselbe wie für Musiker: Wer Maloche huldigt, wird von Mammon belohnt. Wenn alles so perfekt organisiert ist wie in den letzten Jahren beim W:O:A, dann braucht’s gar keinen nominellen Headliner. Die Wacken-Familie ist sich selbst genug. »Ah! Ça ira!« singen Gojira wie bei Olympia. Was hier soviel heißen soll wie: Ach, das wird schon.
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