Alles rausschwitzen
Von Wolfgang Nierlin
Zunächst ist da nur eine dunkle Leinwand, während sich auf der Tonspur des Films ein monotoner, drängender Techno-Beat aufbaut. Dann erscheinen schemenhaft Silhouetten sich bewegender Körper, durch Licht- und Farbblitze fragmentiert und aus der Dunkelheit des Raums geschnitten. Erst allmählich fügen sich die Elemente zu einem Bild. Es will vor allem eine Atmosphäre und ein Lebensgefühl vermitteln. Zeitlich und räumlich verdichtet, tauchen wir ein in den Rausch einer Nacht mit seinen Delirien und Exzessen, mit seinen Lichtgewittern und gleichbleibenden Rhythmen, in denen sich die ekstatisch Tanzenden wie in Trance verlieren. »Rave on« heißt der Titel des Films, den Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski im semidokumentarischen Stil unter echten Clubbedingungen gedreht haben. Er führt von der Tanzfläche durch enge Gänge, deren Wände förmlich »schwitzen«, zu Toiletten, wo Drogen konsumiert werden, und in einen Darkroom. »Rave on« zelebriert vor allem eine Gemeinschaftserfahrung, die ebenso entgrenzend wie verbindend ist und die den Freiheitssucher mit sich selbst versöhnt.
Im Mittelpunkt der dünnen Handlung steht der offensichtlich gescheiterte Techno-Produzent und DJ Kosmo (Aaron Altaras), der noch nicht aufgegeben hat und seinen alten Träumen nachhängt. Wir folgen ihm durch eine halluzinatorische Nacht. Die Kamera begleitet ihn aus nächster Nähe bis hinein in den Horror der Klaustrophobie und in die alptraumhaften Abstürze im Drogennebel. Eigentlich will Kosmo vor allem seinem Idol Troy Porter (Hieroglyphic Being aka Jamal Moss), einem Techno-Pionier, seine neueste Produktion aushändigen. Kosmo hat vor Jahren einen Gig mit dem Star vermasselt, deshalb drückt ihn das Gefühl des Versagens und der Schuld. Unsicher, fast unbeholfen und irgendwie durch den Wind begegnet er alten Bekannten. Die unbewältigte Vergangenheit und die alten, nicht aufgegebenen, aber mittlerweile scheinbar überholten Ideale lasten. Dagegen hat sein DJ-Kumpel Klaus (Clemens Schick) mit seinem früheren Leben abgeschlossen: »Wer träumt, kann enttäuscht werden. Wer nicht mehr träumt, ist frei.«
Bevor Kosmo auf seiner immersiven Rave-Odyssee zwischen Eskapismus und Selbstsuche, zwischen Festhalten und Loslassen schließlich den geheimnisvollen Zeremonienmeister Troy Porter »in einer anderen Dimension« trifft, lernt er die junge Alex (June Ellys Mach) kennen. Zu ihr sagt er: »Ich bin älter, als ich aussehe, und viel jünger, als ich mich fühle.« Auf Ketamin und Speed driftet er durch die Nacht und erlebt dabei einen psychedelischen Trip, der irgendwann in Farben und abstrakten Formen mündet. Dabei verliert er seine Vinylplatte, deren Splitter sich später auf wundersame Weise wieder zusammensetzen. Geradezu symbolisch. Endlich ist es seine Musik, die den Raum erfüllt und die Tanzenden euphorisiert. Wenn Kosmo am nächsten Morgen halbnackt aus seinem Rausch erwacht, liegt ein Lächeln auf seinem müden Gesicht. Etwas scheint zu Ende gegangen, ohne verloren zu sein. Im Gefühl einer Selbstbefreiung kann vielleicht etwas Neues beginnen.
»Rave on«, Regie: Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski, BRD 2025, 80 Min., bereits angelaufen
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