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Aus: Ausgabe vom 01.08.2025, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Schuldumkehr in der Westbank

Nach Mord an palästinensischem Aktivisten unterdrückt Israel Trauer und feiert mutmaßlichen Täter
Von Susann Witt-Stahl
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Die Besatzungsmacht unterbindet die Trauerfeierlichkeiten für den von Siedlern getöteten Awdah Hathaleen (Masafer Jatta, 29.7.2025)

Während die ultrarechten israelischen Siedler im Schutz des Militärs ihren Terror in der besetzten Westbank verstärken, hat auch Jinon Levi das Amtsgericht in Jerusalem am Dienstag mit einem Siegerlächeln verlassen. Gegenwärtig befindet sich der mutmaßliche Mörder des Aktivisten Awdah Hathaleen noch in Hausarrest. Vier Palästinenser aus Hathaleens Dorf Umm Al-Khair hingegen, die sich durch Steinwürfe gegen die bewaffneten Siedler und den Bulldozer, mit dem diese angerückt waren, verteidigt haben sollen, bleiben in Haft – obwohl sie niemanden verletzt haben. Am Dienstag und Donnerstag wurden insgesamt zwölf weitere Palästinenser festgenommen. Ihre internationalen Unterstützer sollen abgeschoben werden.

Die von rechten israelischen Organisationen in Umlauf gebrachte Lüge, Levi habe Hathaleen aus Notwehr niedergeschossen, ist bereits entlarvt. Videos, Fotos und Zeugenaussagen haben belegt, dass Hathaleen sich nicht einmal in der Menschenmenge aus dem Dorf befand, die versucht hatte, die Angreifer aufzuhalten: Er stand abseits, um den Vorfall zu dokumentieren – Hathaleen hatte nicht nur Material für den Film »No Other Land«, sondern seit 2021 auch Reportagen für das israelisch-palästinensische Magazin +972 geliefert. Genau dieser Aktivismus war den Siedlern und Militärs schon lange ein Dorn im Auge.

Hathaleen, der wiederholt Morddrohungen erhalten haben soll, hat eine Chronik ihres systematischen Terrors erstellt: von Landraub, der Zerstörung von Gebäuden, Straßen, Wasserleitungen, Olivenbäumen, Kinderspielplätzen bis zu den nächtlichen Drangsalierungen mit illegalen Hausdurchsuchungen, Verschleppungen und äußerster Brutalität. Hathaleen berichtete auch von den psychischen Qualen der Dorfbewohner durch die ständige Todesangst, in der sie leben müssen. »Wir halten das nicht mehr lange aus«, sagte er vergangenes Jahr in einem Interview mit jW. Im Juni 2025 waren er und sein Cousin Eid von jüdischen Organisationen in die USA eingeladen worden, um in Synagogen zu sprechen. Aber bei der Ankunft widerriefen die US-Behörden ihre Visa, nahmen beide in Haft und wiesen sie aus.

Nachdem die Trauerfeier für Hathaleen am Dienstag vom israelischen Militär aufgelöst worden war, setzen die Besatzer ihre Bemühungen fort, das Verbrechen zu verschleiern: Die Behörden wollen den Leichnam nur freigeben, wenn die Angehörigen einer mitternächtlichen Beerdigung außerhalb des Dorfes in Anwesenheit von maximal 15 Personen zustimmen, berichtete Hathaleens Bruder Alaa einem palästinensischen Radiosender. Bisher weigert sich die Familie, Awdah auf diese unwürdige Weise verscharren zu lassen – schließlich sei er »kein Krimineller« gewesen, wie sie betont.

Für den israelischen Journalisten Oren Ziv sind solche Schikanen auch »eine Botschaft, dass die Siedler und der Staat unvermindert alles unternehmen werden, die Bewohner von Umm Al-Khair von ihrem Land zu vertreiben«, wie er im Interview mit dem US-Journal »Democracy Now« erklärte. Nicht zuletzt soll offenbar auch jede kritische Öffentlichkeit unterdrückt werden, die die Viktimisierung des Täters und der mordbrennenden Siedlermobs, die derzeit mit besonderer Aggressivität durch das Westjordanland toben, unterlaufen könnte. Levi, dessen Entlassung aus dem Hausarrest nur eine Frage der Zeit sein dürfte, hat mächtige Freunde in der Knesset: »Ich bin zum Gericht gekommen, um den Helden Israels zu unterstützen«, verlautbarte Limor Son Har-Melech, selbst Siedlerin und Abgeordnete der faschistischen Jüdische-Stärke-Partei von Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, nach einem Solidaritätsbesuch. Für sie ist Levi ein »Pionier«.

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