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Aus: Ausgabe vom 12.08.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Quantenphysik

Ins Abseits gerechnet

Die De-Broglie-Bohm-Theorie in der Quantenmechanik gilt vorläufig als widerlegt
Von Erik Rhea
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Kaum anschaulich zu machen: Illustration eines Atommodells mit überlagerten Quantenwellen

Die Physik beschäftigt sich vor allem damit, wie sich verschiedene Dinge unter verschiedenen Einflüssen bewegen; sie untersucht beispielsweise die Flugbahn eines Pfeiles, die Tragfähigkeit von Brücken oder welche Bahn ein Planet genau hat. Die Bewegung solch großer Objekte lässt sich im Rahmen der klassischen mechanischen Physik noch relativ leicht berechnen. Mit der Entwicklung der Quantentheorie vor etwa 120 Jahren, welche die Gesetzmäßigkeiten auf atomarer und subatomarer Ebene in den Blick rückte, hat sich die Lage in der Physik deutlich verkompliziert (siehe auch jW vom 21.1.2025).

Die Quantentheorie ist eine nichtdeterministische Theorie, das heißt, sie liefert uns keine Aussagen darüber, wie sich ein Quantenteilchen bewegen wird, sondern lediglich Vorhersagen über die statistische Verteilung der Ergebnisse, wenn man ein Experiment mit Quantenteilchen sehr oft wiederholt. Deshalb werden die Quantenteilchen mit einer Welle beschrieben, die bestimmte Aufenthaltswahrscheinlichkeiten eines Teilchens beschreibt. Praktisch gesehen arbeitet die Quantentheorie also hauptsächlich mit Wellengleichungen und nicht mit Gleichungen, die direkt Teilchenbewegungen beschreiben.

Das ist eine Sache, die man einfach hinnehmen kann, sie hat jedoch durchaus philosophische Implikationen. Positivisten interpretieren die Quantentheorie so, dass es eigentlich keine Quantenteilchen oder irgendeine hinter den Phänomenen erkennbare Realität gibt, sondern die Physik lediglich in der Lage ist, bei Messungen bestimmte statistische Vorhersagen zu machen, die prinzipiell nicht weiter untersuchbar sind. Quantenteilchen sind demnach keine real existierenden Objekte, sondern lediglich Modelle, die wir benutzen, um uns Theorien zu veranschaulichen, die letztendlich nur Vorhersagen für bestimmte Experimente liefern – und insofern durchaus nützlich sein können –, aber ansonsten keinen Bezug zur Wirklichkeit haben.

Dies ist eine Vorstellung, die jedoch von vielen Physikern nicht geteilt wird. Es gibt diverse andere Auffassungen davon, wie man nichtdeterministische Theorien interpretieren sollte. Zum einen könnte man die Existenz von absoluten Zufällen als einen Teil der materiellen Realität akzeptieren, zum anderen den fundamentalen Charakter des quantenmechanischen Indeterminismus zurückweisen. Viele Physiker gehen beispielsweise von einer sogenannten verborgenen Variable aus, einer entweder noch nicht oder prinzipiell nicht messbaren physikalischen Größe, die bestimmt, wo genau sich ein real existierendes Quantenteilchen befindet.

Eine dieser sogenannten Hidden-Variable-Theorien musste Anfang Juli jedoch einen Rückschlag hinnehmen: Die als Alternative zum »Mainstream« der physikalischen Forschung hoch gehandelte De-Broglie-Bohm-Theorie geht davon aus, dass die Trajektorie (die Bahnkurve) der Quantenteilchen in erster Linie durch den Ort bestimmt ist, den die Teilchen am Anfang ihrer Entstehung einnahmen und den wir naturgemäß nicht wissen können. Sie arbeitet mit sogenannten Führungswellen, die die ansonsten deterministischen Trajektorien der Teilchen leiten. Dabei hat die Theorie ihren eigenen quantenphysikalischen Formalismus: Neben der Schrödingergleichung wird auch immer eine Bewegungsgleichung für die Teilchentrajektorien verwendet. Dieser Formalismus ist etwas komplizierter als der ansonsten verwendete, daher wird diese Theorie in den Vorlesungen vieler Universitäten meist nicht berücksichtigt. Zudem geht sie davon aus, dass der Ort eines Teilchens seine hauptsächliche Eigenschaft ist und versucht die sonstigen Quanteneigenschaften der Teilchen auf den Teilchenort zurückzuführen.

Die physikalischen Vorhersagen der De-Broglie-Bohm-Theorie sind dabei die gleichen wie bei der sonstigen Quantentheorie – allerdings nur fast. Am 2. Juli 2025 hat ein Team der niederländischen Universität Twente in der Fachzeitschrift Nature einen Artikel über ein Experiment veröffentlicht, welches die abweichenden Vorhersagen der De-Broglie-Bohm-Theorie untersucht. Dabei spielt auch der sogenannte Tunneleffekt eine Rolle: Kommt ein Teilchen an einen Bereich, in dem es nicht sein kann (in physikalischer Fachsprache: eine Potentialbarriere), so sinkt seine Aufenthaltswahrscheinlichkeit nicht abrupt auf Null, sondern fällt exponentiell ab. Das bedeutet, dass es immer eine kleine Chance gibt, dass sich ein Teilchen eben doch in dem verbotenen Bereich befindet – ganz so, als wäre es durch einen Tunnel auf die andere Seite der Barriere gelangt. Laut der De-Broglie-Bohm-Theorie ist dies zwar möglich, allerdings würden solche Teilchen aufhören, sich zu bewegen.

Die Niederländer konnten einen Zusammenhang zwischen der Energie eines Teilchens und seiner Geschwindigkeit herleiten und damit die Geschwindigkeit der Teilchen messen. Es kam allerdings heraus, dass die Geschwindigkeit von getunnelten Teilchen nicht nur ungleich Null ist, sondern dass diese Teilchen paradoxerweise um so schneller waren, je weniger Energie sie vor dem Überwinden der Barriere hatten. Damit ist die De-Broglie-Bohm-Theorie in der aktuellen Form widerlegt. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass eine Theorie denkbar ist, die den Tunneleffekt richtig beschreibt und dennoch mit Führungswellen oder verborgenen Variablen arbeitet. Wollen die Anhänger der De-Broglie-Bohm-Theorie eine solche Theorie ausarbeiten, haben sie jedoch noch einige Arbeit vor sich.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. August 2025 um 09:03 Uhr)
    Themenvorschlag für diese Rubrik: Dekohärenz, Kopenhagener Deutung, Doppelspalt.
  • Leserbrief von G. Frey (12. August 2025 um 18:17 Uhr)
    Sehr wohl beschreibt die moderne Quantenmechanik und Quantenfeldtheorie Quantenobjekte, die real sind und mit mathematischen Modellen beschrieben werden. Materialistisch sind Quantenobjekte und Quantenfelder natürlich ebenso wie beispielsweise elektromagnetische Felder in einer Feldtheorie des Elektromagnetismus (Maxwell) etc. Interessante Geschichte dazu übrigens in einem Buch von Dietmar Dath zu dem Physiker Dirac, im Buch mit dem gleichen Namen. Beispiel Tunneleffekt: nützliche Anwendung in Tunneleffekt-Transistoren – quantenmechanisch erklärt durch die Schrödinger-Gleichung. Es gibt wenige Physiker, die der Bohmschen Interpretation der Quantenmechanik anhängen. Gleichwohl gibt es nach wie vor über Interpretationen der Quantenmechanik Diskussionen. Idealistisch wird es dann, wenn in der Tat Quantenfeldern keine Wirklichkeit zugerechnet wird. Möglicherweise gehörte der dänische Physiker Bohr dazu, der mit Einstein im ständigen Streit stand. Nur wollte allerdings Einstein auch nichts von einer rein statistischen Interpretation der Quantenmechanik wissen. Davon sind wir allerdings heute m. E. weit entfernt. Die Realität der Anwendungen, also die wissenschaftliche Praxis, gibt der Theorie recht.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Enrico M. aus Ottenhagen (14. August 2025 um 11:49 Uhr)
      Der statistische Charakter der Gesetze der Quantenmechanik (QM) macht diese mitnichten zur angeblichen »nichtdeterministische(n) Theorie«. Das ist ein idealistisches Missverständnis. Der Determinismus »an sich« ist nicht tot, weil seine klassische, d.h. mechanische Variante des 18. Jahrhunderts mit der QM gestorben ist. Für jeden physikalischen Vorgang bräuchte man nur die dazugehörige Differentialgleichung mit wenigen Bewegungsgrößen definieren und alles wäre beschreibbar, erkennbar, vorhersagbar. Man nannte das später den »Laplaceschen Dämon«. Ein Anfangszustand als Ursache sollte immer und notwendig einen Endzustand als Wirkung haben. Zwischen Gesetz und Kausalität machte man keinen Unterschied, es gab den absoluten Zufall. Dagegen mit der Anerkennung der objektiven Existenz des Zufalls enthebt man sich der Peinlichkeit, die »Kausalität« z. B. für die unterschiedlichen möglichen Längen eines Hundeschwanzes einer Art zu suchen und damit die Wissenschaft zur Spielerei zu verdammen. So dem Sinne nach ein Kommentar der humorigen Art von Friedrich Engels bei seiner Ausarbeitung des dialektischen Determinismus (MEW 20: 487). Der Zufall ist eben kein Schnittpunkt von Kausalketten, sondern die Erscheinungsform der Notwendigkeit. Die QM hat in diesem Sinne für die Physik die objektive Existenz des Zufalls nachgewiesen. Er erscheint hier als die Verwirklichung von Möglichkeiten eines aus dem Gesetz sich ergebenden Möglichkeitsfeldes gemäß der Wahrscheinlichkeitsverteilung mit der unheiligen Dreifaltigkeit: a) dynamischer Aspekt (eine Möglichkeit wird notwendig verwirklicht für das System), b) stochastischer Aspekt (Wahrscheinlichkeitsverteilung für viele Möglichkeiten für jedes Element des Systems) c) probabilistischer Apekt (Übergangswahrscheinlichkeit für eine Möglichkeit der Elemente des Systems). Alle »Hidden-Variable-Theorien« sind der Versuch, die QM auf den überholten mechanischen Determinismus im Sinne von Einstein (»Gott würfelt nicht«) zurückzuführen.

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