Bau des Himmelspalasts
Von Nina Hager
Vor fast 14 Jahren, am 29. September 2011, hieß es in der FAZ noch arrogant, China müsse in der Raumfahrt nach wie vor mit Schwellenländern wie dem Nachbarn Indien konkurrieren und hätte de facto lediglich einen Entwicklungsstand erreicht, der mit dem der USA und UdSSR in den 1960ern vergleichbar sei. Nur zehn Jahre später konnte man in der Zeit (3.7.2021) lesen: »Die Lehrjahre sind vorbei.«
Inzwischen hatten die chinesischen Raumfahrwissenschaftler, -ingenieure und -techniker ambitionierte Projekte verwirklicht. Dazu gehörten nicht nur eine Reihe von bemannten Missionen, sondern unter anderem die erfolgreiche »Chang’e 4«-Mission (benannt nach der chinesischen Göttin des Mondes Chang’e), bei der es Anfang 2019 erstmals in der Geschichte der Raumfahrt gelang, einen Rover auf der Rückseite des Mondes abzusetzen. Ende 2020 landete »Chang’e 5« auf der der Erde zugewandten Seite unseres Trabanten. Zum ersten Mal gelang eine autonome Kopplung einer vom Mond aus mit Gesteinsproben gestarteten Transportkapsel mit dem Orbiter. Im Mai 2021 glückte eine weiche Landung auf dem Mars im Rahmen der Mission »Tianwen-1« (»Himmelsfrage«), der ersten chinesischen Mission zum Mars. Damals erklärte Johann-Dietrich Wörner, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und Exchef der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, China beeindrucke ihn mit seinen langfristig geplanten Schritten, die auch konsequent abgearbeitet würden.
Schrittweise Annäherung
Solche langfristige Planung bestimmt auch die Vorgehensweise im Zusammenhang mit der Errichtung einer modularen chinesischen Raumstation im erdnahen Weltraum. Der Ständige Ausschuss des Politbüros der KP Chinas billigte am 21. September 1992 das Raumfahrtprogramm der Volksrepublik. Dieses umfasst drei Phasen: erstens den Bau, die Erprobung und den Einsatz bemannter Raumschiffe. Zweitens kurzzeitig bewohnte Weltraumlabors (»Tiangong«) und drittens die Schaffung einer langfristigen, bemannten Raumstation.
Elf Jahre später, am 15. Oktober 2003, startete das Raumschiff »Shenzhou 5« (»Götterbote«) mit Yang Liwei an Bord ins All. Der nächste bemannte Raumflug, mit zwei Taikonauten an Bord, erfolgte am 12. Oktober 2005. Am 25. September 2008 startete »Shenzhou 7« mit drei Taikonauten. Während der Mission gab es den ersten chinesischen Weltraumausstieg. Danach konzentrierte man sich dort in der bemannten Raumfahrt auf die Entwicklung und den Bau einer eigenen Raumstation im Erdorbit, hat aber langfristig auch die Errichtung einer Raumstation auf dem Mond bzw. in einer Mondumlaufbahn im Blick.
Am 29. September 2011 startete vom Raumbahnhof Jiuquan eine Rakete mit dem »Rohentwurf« einer ersten chinesischen Raumstation, genauer mit einem ersten Modul. Transportiert wurde das unbemannte Orbitallabor »Tiangong 1« (8,4 Tonnen Startgewicht) von einer Rakete des Typs »Langer Marsch 5B«. Sie brachte das Modul der neuen chinesischen Versuchsraumstation »Tiangong« (»Himmelspalast«) in eine Erdumlaufbahn. Die Überreste der Trägerrakete stürzten zurück zur Erde, ein üblicher Vorgang auch bei Missionen der USA und anderer Länder. Doch bei der chinesischen Rakete behaupteten westliche Medien sofort, das sei hochgefährlich und verantwortungslos.
Die Station »Tiangong 2« folgte am 15. September 2016. Beide Stationen dienten der Sammlung von Erfahrungen für den Bau, den Transport, den Ausbau und die Funktionen einer späteren ständig bemannten Station. Dazu gehörten unter anderem auch Erfahrungen beim An- und Abkoppeln bemannter wie unbemannter Zubringerraumschiffe. Das erlangte Wissen mündete in den Bau der Chinesischen Raumstation (CSS) »Tiangong«, die mindestens zehn Jahre in Betrieb sein soll, also auch noch nach dem Ende der Internationalen Raumstation ISS.
Maximaler Nutzen
Der Aufbau der Station begann am 29. April 2021 mit dem Start des Kernmoduls »Tianhe«, fertiggestellt wurde sie am 3. November 2022. Zuvor wurde sie um zwei Wissenschaftsmodule erweitert, die in einer T-Form fest mit dem Kernmodul verbunden sind. Das Kernmodul der Station mit dem Namen »Tianhe« hat eine Gesamtlänge von 16,6 Metern, einen maximalen Durchmesser von 4,2 Metern und eine Startmasse von 22,5 Tonnen. Es ist das Management- und Kontrollzentrum und der Hauptwohnraum der Besatzung. Auch wissenschaftliche und technologische Experimente können hier durchgeführt werden. Für weitere Forschungen stehen die Wissenschaftsmodule »Mengtian« und »Wentian« zur Verfügung. 2026 soll ein auf derselben Umlaufbahn fliegendes Weltraumteleskop hinzukommen, das für Wartungsarbeiten angekoppelt werden kann.
Weitere Weltraumlabore könnten – so ist es geplant – gleichfalls neben der Station, als ihre Begleiter, fliegen. Eine spätere Erweiterung der eigentlichen Station um bis zu drei zusätzliche Module ist aber möglich. Die Raumstation umkreist die Erde in einer Höhe von 340 bis 450 Kilometern. Die Besatzung besteht aus drei Taikonauten, die jeweils sechs Monate auf der Station arbeiten. Bei einer Ablösung kann die CSS derzeit bis zu einer Woche sogar sechs Taikonauten beherbergen.
Die chinesische Raumstation sollte dabei von Anfang an kleiner sein als die ISS: Mit möglichst niedrigen Kosten will man maximalen Nutzen erreichen. Zugleich wird eine möglichst breite internationale Zusammenarbeit angestrebt, besonders da sich China – wegen eines Vetos der USA – nicht an der ISS beteiligen darf. Angebote der VR China zur Kooperation wurden von diversen Forschungseinrichtungen in aller Welt angenommen. Auf einer Liste vom Juni 2019 stehen zum Beispiel ausgewählte Projekte für weltraumwissenschaftliche Experimente mit Einrichtungen aus mehreren europäischen Ländern, darunter der BRD und Russland, zudem aus Japan, Indien, Pakistan, Mexiko, Peru, Kenia etc. Auch Astronauten bzw. Kosmonauten aus anderen Ländern können bald auf der Station arbeiten. Im Februar unterzeichneten China und Pakistan eine Vereinbarung und machten den Weg frei für den ersten nichtchinesischen Astronauten an Bord der Raumstation »Tiangong«.
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