»Die historische Erfahrung der Gewalt sitzt tief«
Interview: Elias Korte, Cali
Sieben Exmanager des Chiquita-Konzerns sind in Kolumbien wegen der Finanzierung von Paramilitärs zu langen Haft- und hohen Geldstrafen verurteilt worden. Was bedeutet dieses Urteil?
Es ist historisch. Zwar gab es schon Urteile gegen Chiquita in den USA, aber in Kolumbien ist es ein Novum. Die Zusammenarbeit mit paramilitärischen Gruppen war in den 1990er und frühen 2000er Jahren Teil der Strategie vieler Unternehmen, besonders in der Bananenindustrie. Der Fall Chiquita zeigt eine besondere Dreistigkeit – sie haben sich unantastbar gefühlt und Zahlungen über legale Tarnorganisationen abgewickelt. Drei Cent pro Bananenkiste sollen damals von Chiquita an die paramilitärische Autodefensas Unidas, AUC, geflossen sein. Ob das, was nachgewiesen werden konnte – zwischen 1997 und 2004 insgesamt 1,7 Millionen US-Dollar – alles war, kann man bezweifeln. Für die Aufarbeitung ist das Urteil sicher ein gutes Signal, entscheidend ist aber auch, was folgt.
Sie waren in den 1990er Jahren, der Hochzeit der Paramilitärs, bereits als Gewerkschafter aktiv. Wie haben Sie die Bedrohung erlebt?
Es war eine Zeit permanenter Furcht. Ich habe viele Kollegen verloren. Nicht viele Gewerkschaftsführer von damals haben mein Alter erreicht.
Chiquita hat ja auch jenseits der Verbindungen zu den Todesschwadronen eine dunkle Vorgeschichte …
Ja. Wir kennen sie aus »Hundert Jahre Einsamkeit« von García Márquez. Chiquita hieß früher United Fruit Company. Dieses US-Monopol besaß riesige Ländereien in Lateinamerika, auch in Kolumbien. 1928 streikten Tausende Bananenarbeiter, sehr viele wurden vom Militär erschossen, genaue Zahlen kennt man nicht. Der US-Botschafter berichtete damals von über 1.000 Toten.
Wie ist es heute um die Arbeiterrechte auf den Plantagen bestellt?
Ich arbeite vor allem in den Anbaugebieten von Magdalena und La Guajira. Dort gab es vor uns keinerlei gewerkschaftliche Präsenz, und die Verstöße gegen Arbeiterrechte sind gravierend. Viele Plantagen in La Guajira produzieren Biobananen für Europa, aber die Bedingungen sind prekär.
Wir sind inzwischen in fünf Firmen präsent und haben dort 110 Mitglieder. Doch auf einer Plantage arbeiten bis zu 150 Menschen, und mit 20 bis 25 Mitgliedern ist es schwer, Verbesserungen durchzusetzen. Arbeitsunfälle und Krankheiten sind weit verbreitet. Die Gesundheitsversorgung ist schlecht und die Gesundheitsunternehmen sind mit den Bananenproduzenten verbandelt.
Und die Bedrohung durch bewaffnete Gruppen?
Wir erleben seit einiger Zeit wieder mehr Präsenz von Gruppen, die wie klassische Paramilitärs agieren. In Magdalena kämpfen sie um die Kontrolle des Schwarzmarktes. Direkt bedroht wurde unsere Gewerkschaft zuletzt nicht, aber 2022/23 erhielt ich Drohungen, als wir in Lohnverhandlungen waren.
2024 bekam ich nach langem Kampf minimalen Schutz vom Staat: eine schusssichere Weste, einen Personenschützer – aber kein Fahrzeug. Ich fahre mit dem Motorrad von Finca zu Finca, das ist gefährlich. Die Arbeiter haben Angst, sich der Gewerkschaft anzuschließen. Die historische Erfahrung der Gewalt sitzt tief. Wer in eine kämpferische Gewerkschaft eintritt, wird schnell entlassen oder gerät unter Guerillaverdacht.
Wie sehen Sie die Rolle der bewaffneten Gruppen heute?
Früher dienten die Paramilitärs den Unternehmen, während die Guerilla an der Seite der Kleinbauern, der Arbeiter und des Volkes stand. Heute leben sie vom Drogenhandel, illegalem Bergbau etc., ermorden Aktivisten und erpressen die lokale Bevölkerung. Wir befinden uns heute in der historischen Situation, dass wir eine Regierung haben, die Arbeiterrechte ausbaut und Kleinbauern Land gibt. Die Chancen auf eine Fortsetzung dieser Politik von Präsident Gustavo Petro stünden weitaus besser, wenn die sich Guerilla nennenden Gruppen den Frieden suchen würden. Aber mit der Zunahme der Gewalt in einigen Regionen delegitimieren sie die Regierung und nutzen damit den Rechten.
Pablo Vargas ist Mitglied im Exekutivkomitee des Dachverbands für landwirtschaftliche Gewerkschaften Fensuagro und Verhandlungsführer der Gewerkschaft Sintrafrucol
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- twitter.com/wilcan91/Bildschirmfoto14.09.2019
Posen mit Paramilitärs
- Jaime Saldarriaga/REUTERS18.11.2017
»Beamte vernichteten Medikamente«
- 20.07.2002
»Kolumbiens Paramilitärs bewegen sich ungestört«
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Queer
vom 04.08.2025 -
Theatralische Drohung Trumps
vom 04.08.2025 -
Tischtuch zerschnitten
vom 04.08.2025 -
Festung Israel als Außenposten
vom 04.08.2025 -
Brasilien wehrt sich
vom 04.08.2025 -
Teheran hat keinen Gesprächsbedarf
vom 04.08.2025