Gegen den Genozid
Von Ina Sembdner
Die Diskrepanz zwischen offenkundiger Grausamkeit und Entmenschlichung palästinensischen Lebens sowie der anhaltenden Leugnung ihrer Kriegsverbrechen auf der israelischen Seite ist kaum mehr zu kaschieren, und doch versucht es das ultrarechte Regime unter Premierminister Benjamin Netanjahu. Nachdem die palästinensische Hamas Videos zweier Männer, die sie seit Oktober 2023 gefangenhält, zur Veröffentlichung bereitstellte, überbieten sich die Kommentare zu deren Zustand. Dieser – abgemagert und ohne ausreichende Versorgung – zeigt eigentlich nur, dass nicht nur die zwei Millionen Palästinenser in der seit 22 Monaten unter Dauerbombardement stehenden abgeriegelten Enklave dem Verhungern nahe sind.
Netanjahu lieferte aber eine eigene Interpretation: »Während der Staat Israel humanitäre Hilfe für die Bewohner des Gazastreifens zulässt, hungern Hamas-Kämpfer unsere Geiseln absichtlich aus und filmen sie auf zynische und abscheuliche Weise.« Aufgrund der israelischen Blockade aller humanitären Güter seit März und einer mit tödlicher Waffengewalt kontrollierten minimalen Zufuhr seit Ende Mai mussten die Behörden in Gaza am Sonntag die Zahl der Hungertoten bereits mit 175 angeben, darunter 93 Kinder. Auch beim Versuch, an ein bisschen Mehl zu kommen, wurden erneut Hungernde getötet – insgesamt seit dem 27. Mai mehr als 1.300.
Aber für Israels Verbündete zeigen die Videos nur »aufs Neue die ganze Niedertracht der Geiselnehmer«, wie Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) am Freitag bei seiner Nahostreise erklärte. Flankiert von seinem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot, der von »abscheulichen, unerträglichen« Bildern sprach, die laut der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas »die Barbarei der Hamas« offenbarten. Das von der Familie zur Veröffentlichung genehmigte Video von Evjatar David zeigt ihn unter anderem, wie er sein »eigenes Grab« schaufelt, und beinhaltet eine Klage gegen Netanjahu, von dem er »völlig verlassen worden« sei, obwohl er »sich um mich und all die anderen Gefangenen kümmern müsste«. Für die Familie keine Forderung nach einem Ende des Feldzugs, sondern der Missbrauch ihres Verwandten als »Versuchsperson in einer bösartigen Hungerkampagne«. Das Video Davids endet mit der Textbotschaft, dass nur ein Waffenruheabkommen die Geiseln zurückbringe. Verdrängt wird geflissentlich, dass die »Barbaren« schon unmittelbar nach Beginn des Kriegs die Freilassung aller Geiseln im Austausch für die von Israel gefangengenommenen Palästinenser angeboten hatten. Nun sollen von den verbliebenen 50 Verschleppten noch 20 am Leben sein.
Israels offen faschistischer Polizeiminister Itamar Ben-Gvir griff die Entwicklung dankbar auf: Als Reaktion müsse sein Land »noch heute den ganzen Gazastreifen besetzen« und die palästinensische Bevölkerung zu »freiwilliger Auswanderung ermutigen«. Um das Ziel zu erreichen, wachsen die sogenannten Kill Zones im Gazastreifen täglich – auf aktuell 88 Prozent der Gesamtfläche bzw. 315 Quadratkilometer, in denen Israels Militär auf alles schießt, was sich bewegt. Jedoch werden auch die vermeintlich sicheren Zonen immer wieder bombardiert.
Aber der Widerstand auf den Straßen der Welt wird größer: Am Sonntag zogen Zehntausende Menschen allein in der australischen Metropole Sydney über die Harbour Bridge, angeführt von Julian Assange, und forderten wie jene etwa in London, Sanaa, Berlin … ein Ende des Völkermords.
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