Systematisch ausgehungert
Von Helga Baumgarten
Stand Donnerstag sind 89 Kinder sowie 65 Erwachsene im Gazastreifen nach UN-Angaben verhungert – nicht als Folge einer Naturkatastrophe, sondern im Kontext des Völkermordes, den Israel dort begeht. Ein reicher Staat, der sich damit brüstet, eine Demokratie zu sein, hungert die Menschen in Gaza systematisch aus, 63 starben allein im Juli, davon 24 Kinder unter fünf Jahren. Dies ist integraler Teil von Israels Strategie der Vernichtung der palästinensischen Enklave. Und diese Strategie haben Regierung und Armee seit dem Oktober 2023 verfolgt. Im März 2025 ist Tel Aviv mit dem fast totalen Stopp jeder Einfuhr von Nahrungsmitteln zu offenem Mord übergegangen.
Ein weiterer entscheidender Schritt dabei war die Etablierung der »Gaza Humanitarian Foundation« (GHF), die genau das Gegenteil war von dem, was ihr Name verspricht. Diese Organisation, in direkter Kooperation mit der israelischen Armee, benutzte das Versprechen von Nahrungsmitteln, um die hungrigen Menschen Gazas regelrecht in eine Falle zu locken und tagtäglich Dutzende kaltblütig zu erschießen. Seit dem 27. Mai wurden mindestens 1.373 Palästinenser bei der Suche nach Lebensmitteln getötet; 859 in der Nähe der GHF-Standorte und 514 entlang der Routen der Lebensmittelkonvois.
Parallel dazu stoppte man das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge UNRWA sowie andere UN-Organisationen, die einzigen, mit der notwendigen Erfahrung und der entsprechenden Infrastruktur, um Nahrung an die verhungernde Gesellschaft zu verteilen.
Inzwischen zirkulieren in den internationalen Medien – Deutschland hängt wie üblich nach –erschütternde Bilder von Kleinkindern, die bis auf Haut und Knochen abgemagert sind. Israels rechter Premier Benjamin Netanjahu hat deshalb einen neuen Trick aus seiner Völkermordzauberkiste geholt: Nur in einigen Gegenden des Gazastreifens gibt es seit wenigen Tagen einen stundenweisen Stopp der Bombardierungen. In dieser Zeit kommen – nach wie vor minimale Mengen – Nahrungsmittellieferungen in den Gazastreifen. Und die weitgehend sinnlose und auch tödliche Methode, mit der Hilfspakete aus der Luft abgeworfen werden, wurde wieder erlaubt.
Die Menschen in Gaza sterben infolge von Hunger, der Zerstörung ihrer Häuser und Wohnungen, der Demolierung der gesamten Wasser und Abwasserinfrastruktur und der Folgen, die all dies zusammen auf ihre Gesundheit hat. An erster Stelle trifft dies natürlich Kleinkinder und Kinder, Frauen, vor allem schwangere, und ältere Menschen. Viel Bedarf gibt es an speziellen Nahrungsmittelzusätzen für Babys. Für deren Zubereitung braucht man auch sauberes Wasser. Ägypten kann inzwischen wohl wieder Wasser nach Gaza bringen. Und die Entsalzungsanlage in Deir Al-Balah, so Haaretz Anfang der Woche, bekommt wieder Strom, um in Betrieb gehen zu können.
Kinder mit Vorerkrankungen, zum Beispiel mit der Autoimmunkrankheit Zöliakie, können nicht einfach beliebige Nahrungsmittel zu sich nehmen, erklärte Dorit Adler, Präsidentin des israelischen Forums für nachhaltige Ernährung, gegenüber Haaretz. »Wir haben einen 7jährigen Jungen gesehen, der aufgehört hat zu essen, weil keine geeigneten Lebensmittel gefunden wurden, und sein Zustand verschlechtert sich«, warnte Adler. Sie fordert deshalb, dass alle Babys und Kleinkinder sowie schwangere Frauen so schnell wie möglich wieder die erforderliche und für sie passende Nahrung erhalten, um Langzeitschäden zu vermeiden, falls das überhaupt noch möglich ist. Die Ärztin ist Tochter von Auschwitz-Überlebenden und wiederholt das, was ihr von ihrer Mutter immer gepredigt wurde: »Wir dürfen niemandem das antun, was man uns angetan hat.« Und sie schließt das Interview mit diesen Worten: »Mir verschlägt es den Atem, wenn ich sehe, was in Gaza passiert.«
Die Hamas erklärte Donnerstag abend erneut ihre Bereitschaft, mit Israel über eine Waffenruhe weiterzuverhandeln – allerdings sei eine Fortsetzung der Gespräche unter den derzeit gegebenen Umständen »sinnlos und ineffektiv«.
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