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Aus: Ausgabe vom 01.08.2025, Seite 16 / Sport
Schach

Schweizer Uhrwerk

Wladimir Fedossejew hat das Masters beim 58. Bieler Schachfestival gewonnen
Von Sören Bär
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Der Kulminationspunkt: Nach zuletzt 11…b5? erlangt Christian Glöckler mit 12.Sb6! klaren Vorteil

Die zweisprachige Schweizer Stadt Biel/Bienne im Kanton Bern gilt trotz ihrer lediglich 55.206 Einwohner als Uhrenweltmetropole. Hier befinden sich der Hauptsitz der Swatch Group, der Produktionsbetrieb von Rolex und auch die Zentrale des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie. Weltruf besitzt auch das Bieler Schachfestival, welches sich durch ähnliche Kontinuität und Zuverlässigkeit auszeichnet wie ein Schweizer Uhrwerk. In diesem Jahr kam nach dem Auftakt 1968 bereits die 58. Auflage des Traditionsturniers im Bieler Kongresshaus zur Austragung. Neben dem seit 1968 existierenden offenen Meisterturnier nach Schweizer System wurde ab 1977 ein Rundenturnier der Weltelite etabliert, in dessen Siegerliste sich mit Anatoli Karpow (1990, 1992 und 1996), Viswanathan Anand (1997) und Magnus Carlsen (2007 und 2011) auch drei Weltmeister eingetragen haben. 1976, 1985 und 1993 fanden in der Uhrenstadt Biel überdies drei WM-Interzonenturniere statt.

Heuer beteiligten sich vom 12. bis 25. Juli erkleckliche 879 Teilnehmer an 16 verschiedenen Turnieren. Im hochkarätigsten Wettbewerb, dem Großmeisterturnier-Masters (GMT) mit sechs Spielern, holte in den vergangenen drei Jahren jeweils Lê Quang Liêm die Siegestrophäe nach Vietnam. Nachdem der Titelverteidiger diesmal aus familiären Gründen nicht anreisen konnte, engagierten die Organisatoren kurzfristig mit dem Weltranglistensechzehnten Wladimir Fedossejew (Slowenien) hochwertigen Ersatz.

Der aus Russland stammende Fedossejew zeigte sich der Aufgabe gewachsen und gewann den Pokal mit 28,5 Zählern vor dem punktgleichen Aravindh Chithambaram (Indien) und Saleh Salem (24,5, Vereinigte Arabische Emirate). Weil Fedossejew und Aravindh am Ende gleichauf lagen, gab Fedossejews besseres Abschneiden im vorgelagerten Freestyle-Turnier – die Figurenstellung auf der Grundreihe wird ausgelost – den Ausschlag. Der dritte Rang von Salem ist beachtlich, denn er gehörte als einziger der sechs Kontrahenten nicht zu den Top 100 der Welt. Der 19jährige amtierende Schnellschachweltmeister Wolodar Mursin (Russland) war mit seinen 23,5 Punkten und Platz vier sicher nicht ganz zufrieden.

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Jetzt geht’s los: Wladimir Fedossejew (l.) gegen Frederik Svane

Nichts ins Halbfinale kamen Radosław Wojtaszek (16, Polen) und der Deutsche Frederik Svane (10). Svane konnte seine zuletzt starken Leistungen nicht bestätigen und landete weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Nachdem in Biel/Bienne bis einschließlich 2018 ein klassisches Rundenturnier gespielt wurde, kommt seit 2019 eine Art Triathlon zur Anwendung: Zu Beginn werden in einem Rundenturnier im klassischen Schach Siege mit jeweils vier Punkten und Remisen mit eineinhalb Punkten belohnt, im darauffolgenden Schnellturnier gibt es zwei Punkte für einen Gewinn und einen Zähler für ein Unentschieden, während im abschließenden doppelrundigen Blitzturnier Siege mit einem und Remisen mit einem halben Punkt honoriert werden.

Im Challengers mit ebenfalls sechs Spielern kristallisierte sich hingegen ein klarer Sieger heraus: Nikolas Theodorou (Griechenland) gab mit 33,5 Punkten dem Armenier Aram Hakobian (28,5) und dem Kasachen Rinat Schumabajew (20) deutlich das Nachsehen, während David Navara (20, Tschechien), Ma Qun (15, China) und Daniel Dardha (13,5, Rumänien) nicht in den Kampf um die vorderen Ränge eingreifen konnten.

Das ununterbrochen und damit zum 58. Mal ausgetragene offene Bieler Meisterturnier mit 112 Teilnehmern aus 27 Ländern entschied Karthikeyan Murali (Indien) mit acht aus zehn für sich und distanzierte seinen Landsmann Pranav Anand und den Türken Mustafa Yilmaz um einen halben Punkt. Der 13jährige Deutsche Christian Glöckler, dessen Trainer der Erfurter Großmeister Thomas Pähtz ist, überzeugte einmal mehr, fiel allerdings durch eine Schlussrundenniederlage mit 6,5 Zählern noch auf Rang zehn zurück. In der neunten Runde siegte er gegen den aus Polen stammenden 69jährigen gehörlosen israelischen Großmeister Yehuda Grünfeld, der 1979 das offene Meisterturnier und 1980 das Elitegroßmeisterturnier gewonnen hatte. Am Ende landete Grünfeld mit ebenfalls 6,5 Punkten auf dem 21. Platz.

Christian Glöckler – Yehuda Grünfeld

58. Offenes Meisterturnier, Biel/Bienne, Runde 9, 23. Juli 2025, Sizilianisch – Najdorf-Variante

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Le3 e5 7.Sf3 (Statt den »Englischen Angriff« mit 7.Sb3 und 8.f3 einzuleiten, entscheidet sich Glöckler für die positionelle Behandlung der Position.) 7Le7 8.Lc4 O-O 9.O-O Le6 10.Lxe6 fxe6 11.Sa4! (Weiß möchte 12.c4 folgen lassen, um das Feld d5 zu kontrollieren.) 11b5? (Diese radikale Verhinderung von 12.c4 ist in höherem Sinne bereits der entscheidende Fehler. Erforderlich war 11…Sg4!, um den Le3 zu behelligen und das folgende Manöver zu verhindern.) 12.Sb6! Sxe4 13.Sxa8 Sd7 14.a4 b4? (Ein weiterer Lapsus, angesagt war 14…bxa4 15.Sb6 Sxb6 16.Dd3 +/- .) 15.Sb6 Sxb6 16.Dd3 Sc5 17.Lxc5! dxc5 18.Dxd8?! (Glöckler möchte die Damen tauschen und den Gewinn rein technisch erreichen, vergibt dadurch aber einen Großteil seines Vorteils. Nach 18.Dxa6! e4 19.Tfd1 Dc8 20.Dxc8 Txc8 21.Se5 +- hätte die Partie nicht mehr lange gedauert.) 18Txd8 19.Tfd1 Txd1+ 20.Txd1 Sxa4 21.b3 Sc3 22.Ta1 (22.Td7 Lf6 23.Sd2 e4 24.Kf1 +/-) 22e4 23.Sd2 Se2+ 24.Kf1 Sd4 25.Ta2 (Vorsichtig gespielt, 25.Txa6 Sxc2 26.Txe6 Kf7 27.Txe4 Sd4 28.f4 war eine Alternative.) 25Kf7 26.Sxe4 e5 27.f3 h6 28.Ke1 a5 29.Kd2 c4 30.bxc4 Sc6 31.Ke3 Ke6 32.Ta4 Kf7 33.Kd3 Ke6 34.Sd2 Ld8 35.Ke4 g6 36.Sb3 Lb6 37.Ta1 Kd6? (Nach 37…h5 hätte sich Glöckler noch weitaus länger abmühen müssen.) 38.c5+! (Diese »petite combinaison« im Stile Capablancas entscheidet sofort.) 38…Lxc5 39.Sxa5 1:0.

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