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Aus: Ausgabe vom 01.08.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Mexiko

Den Zöllen zum Trotz

Mexikos Wirtschaft von US-Handelspolitik unbeschadet. Gespräch zwischen Sheinbaum und Trump
Von Volker Hermsdorf
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Der Exporthandel in die USA läuft von mexikanischer Seite aus weiter stabil

US-Präsident Donald Trump setzt seine aggressive Handelspolitik auch in Lateinamerika fort. Neben Brasilien steht Mexiko, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Region, dabei im Fokus der Drohungen. Trump hatte angekündigt, ab diesem 1. August drastische Zölle in Höhe von 30 Prozent auf ausgewählte mexikanische Importe zu verhängen, sofern es bis dahin kein bilaterales Abkommen mit der Regierung von Präsidentin Claudia Sheinbaum gibt. Offiziell wirft die US-Regierung Mexiko vor, zuwenig gegen Drogenkartelle und Menschenhandel zu unternehmen. Tatsächlich geht es darum, den ökonomischen und politischen Druck auf einen Nachbarn zu verstärken, der trotz neoliberaler Einbindungen nach eigenen Wegen sucht.

Kurz vor Ablauf der Frist wollten beide Staatsoberhäupter in einem Telefongespräch am Donnerstag (Ortszeit) ausloten, ob eine Einigung in letzter Minute noch möglich ist, um die Zolleskalation abzuwenden. Obwohl das Ergebnis bei Redaktionsschluss noch ausstand, zeichnete sich ab, dass Sheinbaum gestärkt auftreten konnte. Die ökonomische Lage ihres Landes zeigt sich erstaunlich widerstandsfähig und besser, als es die Rhetorik des Weißen Hauses nahelegt. Im zweiten Quartal 2025 wuchs Mexikos Wirtschaft um 0,7 Prozent – stärker als von Analysten erwartet, die lediglich einen Anstieg von 0,4 Prozent prognostiziert hatten. Die Präsidentin bewertete die jüngsten Daten am Mittwoch als »positives Signal der wirtschaftlichen Stärke und Stabilität« – und sieht sich in ihrer Politik bestätigt.

Nach Angaben des nationalen Statistikamts INEGI vom Mittwoch ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit Jahresbeginn um 1,4 Prozent gestiegen. Im Gegensatz zum ersten Quartal des Jahres, in dem der Agrarsektor eine Schrumpfung verhinderte, waren es im Zeitraum von April bis Juni vor allem die Industrie und der Dienstleistungssektor, die laut der vorläufigen BIP-Schätzung für das zweite Quartal 2025 das stärkste Wachstum verzeichneten.

Im Vergleich zum ersten Quartal wuchs die Industrie um 0,8 Prozent, der Dienstleistungs- und Handelssektor um 0,7 Prozent, während Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei um 1,3 Prozent zurückgingen. Zwar ist die Investitionstätigkeit weiter schwach, doch die Ausfuhren – ironischerweise gerade in die USA – blieben stabil. »Mitten im Zollkrieg ist der Export der Wachstumstreiber«, analysierte Marco Oviedo, ein Lateinamerikastratege beim brasilianischen Börsenmakler XP Investimentos.

Für Gabriela Siller zeigt das vorläufige BIP, dass Mexiko sich »eindeutig nicht in einer Rezession« befinde. »Das bedeutet jedoch nicht, dass es der Wirtschaft gut geht«, so die Wirtschaftsanalystin der Finanzgruppe Banco Base. Dennoch weisen die Daten auch gesellschaftlich auf eine leicht positive Entwicklung hin. Das durchschnittliche monatliche Haushaltseinkommen lag 2024 laut INEGI bei knapp 26.000 Pesos (1.200 Euro) – rund 10,6 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. Von den Zuwächsen profitieren vor allem Haushalte mit geringem Einkommen. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichverteilung von Einkommen oder Vermögen in einer Gesellschaft misst, ist auf 0,391 gesunken – so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. Sozialprogramme, Mindestlohnerhöhungen und eine moderate Umverteilung beginnen offenbar, Wirkung zu zeigen.

Doch die Abhängigkeit von den USA bleibt ein strukturelles Problem und das Damoklesschwert über jeder positiven Statistik. Über 80 Prozent der Exporte gehen dorthin, viele im Rahmen des Freihandelsabkommens T-MEC. Zwar waren diese Ausfuhren bislang von Zöllen ausgenommen – doch das kann sich jederzeit ändern. Mexiko steckt zudem in einem doppelten Dilemma: Einerseits kämpft das Land gegen den äußeren Druck einer unberechenbaren US-Regierung, die ihre ökonomische Dominanz als politische Waffe einsetzt. Andererseits bleibt es intern gefangen in einem Modell, das auf Export und Billigproduktion für den US-Markt setzt – mit Maquiladoras (Montagebetrieben), die verschärft ausbeuten, und ohne strukturelle Souveränität über industrielle Entwicklung, Finanzen und Handel. Daran können weder Telefongespräche noch Abkommen etwas ändern.

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