Angola rebelliert
Von Sven Kurz
Brennende Autoreifen qualmen über den Asphalt von Luanda, Demonstranten verschanzen sich hinter Barrikaden, Sprechchöre hallen durch die Straßen der angolanischen Hauptstadt. Was am Montag als dreitägiger Streik der Taxifahrer begann, hat sich binnen weniger Tage zu einer der blutigsten Protestwellen entwickelt, die das zentralafrikanische Land seit Jahren gesehen hat. In den Armenvierteln Viana, Cazenga und Kilamba gehen Menschen auf die Straße, die von einem System erschöpft sind, das ihnen trotz der Milliarden aus den Ölvorkommen des Landes keine Perspektive bietet. Mindestens 22 Menschen sind ums Leben gekommen, 197 weitere wurden verletzt. Die Regierung entsandte schließlich Armeeeinheiten in die Hauptstadt.
Was zunächst nach einem Protest der Taxifahrer gegen gestiegene Kraftstoffpreise aussah, entpuppte sich schnell als Aufstand gegen eine wirtschaftspolitische Realität, in der höhere Transportkosten alle Lebensbereiche verteuern – unter Druck internationaler Institutionen. Der Auslöser: Anfang Juli erhöhte die Regierung den Dieselpreis um mehr als ein Drittel. Für die Mehrheit der Angolaner mit einem monatlichen Durchschnittslohn von umgerechnet 75 US-Dollar bedeutete das einen harten Schlag. Die Taxifahrervereinigung ANATA reagierte mit einem Streik. Sie verlangte auch eine Regulierung der Haltestellen und die Einführung professioneller Lizenzen. Doch was als Protest eines einzelnen Berufsstands begann, wurde binnen Tagen zur Massenbewegung. Aus den Stadtteilen Viana, Cazenga, Benfica und Kilamba strömten Menschen auf die Straßen, berichtete Radio Angola. »Wir protestieren nicht nur gegen den Kraftstoffanstieg – wir protestieren gegen Hunger, Arbeitslosigkeit und Vernachlässigung«, zitierte das Medium eine Demonstrantin. Tausende Demonstranten blockierten Straßen, plünderten Geschäfte und zerstörten Fahrzeuge. Die Proteste griffen auch auf die Provinzen Ícolo e Bengo und Huambo über.
Die Preiserhöhung steht im Zusammenhang mit dem Abbau von Subventionen, den die Regierung unter heftigem Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) durchsetzt. Angolas Abhängigkeit vom IWF wächst, denn der Einbruch der Ölpreise reißt Löcher in den Staatshaushalt: Finanzministerin Vera Daves De Sousa gab laut Reuters zu, dass Angola deshalb wahrscheinlich erneut auf IWF-Kredite angewiesen sei. Die Treibstoffsubventionen verschlingen jährlich drei bis vier Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig muss Angola dieses Jahr Auslandsschulden in Höhe von 9,1 Milliarden US-Dollar zurückzahlen. Die Gesamtverschuldung beträgt rund 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, davon 80 Prozent in Fremdwährungen. Der IWF stuft das Land als »hochgefährdet für eine Schuldenkrise« ein.
Die sozialen Folgen sind drastisch: Seit 2015 sind laut Debt Justice (eine britische Kampagnenorganisation, die sich gegen Ungerechtigkeiten durch Verschuldung von »Entwicklungsländern« einsetzt) die Sozialausgaben um 55 Prozent gefallen. Infrastrukturprojekte bleiben aus, die Inflation erreichte im März mit 26,1 Prozent ein Zweijahreshoch. Die Folge: sinkende Reallöhne, steigende Lebenshaltungskosten – ein Teufelskreis. Besonders bitter: Angola ist Afrikas drittgrößter Ölproduzent, das »schwarze Gold« macht 95 Prozent der Exporte und 60 Prozent der Staatseinnahmen aus. Und doch zahlen die Bürger für Treibstoff, als lebten sie in einem rohstoffarmen Land. Angola steht nicht allein. Auch in Kenia führte die Umsetzung von IWF-Forderungen – etwa Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen – zu Protesten gegen die Finance Bill 2024, bei denen ebenfalls Menschen starben. Das Muster ist bekannt: Internationale Institutionen geben Kürzungsdiktate vor – die Bevölkerung zahlt den Preis.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (31. Juli 2025 um 22:02 Uhr)Hunderttausende starben für im Befreiungskrieg gegen Südafrika und seine westlichen Verbündeten für die Unabhängigkeit, darunter auch Tausende KubanerInnen und andere InternationalistInnen. Wofür? Nach dem tragischen Tod von Agostinho Neto in Moskau kamen Personen an die Spitze der Partei, Armee und Regierung, die völlig korrupt und unfähig waren. Der vom »Westen« unterstützte Bürgerkrieg forderte nochmals unzählige, meist zivile Opfer. Dabei ist Angola ein Land mit großem Reichtum wie Erdöl, Mineralien etc. Jedoch hat diese »Regierungsclique« und deren Töchter und Söhne nicht auf das Wohl des Landes bzw. der Nation hingearbeitet, sondern nur in ihre eigenen Taschen bzw. Bankkonten. Diejenigen, welche dies kritisierten, inklusive KünstlerInnen (z. B. Rapper), werden verhaftet oder »eliminiert«. Kurz: Die Wut der Bevölkerung ist verständlich und gerechtfertigt, denn das Land hätte mit der Nutzung seiner Ressourcen und einer Umverteilung des Reichtums, einen relativen »Wohlstand« für die Bevölkerung schaffen können.
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