Attacke gegen Schwache
Von Ralf Wurzbacher
Knackt die Zahl der Erwerbslosen die Marke von drei Millionen? Das war die bange Frage, die sich Beobachter im Vorfeld der Präsentation der Julistatistik durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) gestellt hatten. Jetzt steht fest: Nein, der Damm hat gehalten, Deutschland bleibt wenigstens eine Hiobsbotschaft erspart – vorerst. Offiziell waren im abgelaufenen Monat 2.979 Millionen Menschen oder 6,3 Prozent ohne Job und damit 65.000 mehr als im Juni, wie die Behörde mit Sitz Nürnberg am Donnerstag mitteilte. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum standen 171.000 Personen weniger in Lohn und Brot. »Die Unternehmen sind weiter sehr zurückhaltend bei der Meldung neuer Stellen und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nimmt kaum noch zu«, beschied die BA-Vorstandsvorsitzende Andrea Nahles.
Keine Zurückhaltung übt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistags, Hans-Günter Henneke (CDU). Angesichts der desaströsen Finanzlage der Kommunen fordert er eine noch härtere Gangart gegenüber Bürgergeldempfängern. »Diese Koalition stimmt die Bevölkerung in keiner Weise auf einen notwendigen Politikwechsel ein«, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom Mittwoch und weiter: »Der müsste in Leistungseinschränkungen bestehen.« Gleichentags hatte die Bertelsmann-Stiftung im Rahmen des »Kommunalen Finanzreports 2025« das historisch »größte Defizit« von Städten und Gemeinden seit Bestehen der Bundesrepublik mit in Höhe von knapp 25 Milliarden Euro rapportiert. »Ausgabearten wie Personal, Sachaufwand oder Soziales wachsen ungebremst«, lautet die Warnung aus Gütersloh, wogegen sich die sogenannte Denkfabrik am »bremsenlosen« Rüstungswahn nicht stört.
»Wenn Angebote ohne wichtigen Grund nicht angenommen werden, müssten Leistungen gestrichen werden«, meint Landkreistagschef Henneke. Das gelte beim Bürgergeld, aber auch für andere Transferleistungen. So müsse die Mütterrente »nicht ausgebaut, sondern zurückgeführt« und die Wohngeld-Plus-Reform wieder kassiert werden, verlangte Henneke. Außerdem nannte er als wichtigen Punkt im FAZ-Interview eine verlängerte Lebensarbeitszeit, also ein höheres Renteneintrittsalter, wie es dieser Tage einmal mehr Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und die »Wirtschaftsweisen« propagiert haben. Deren Chefin, Monika Schnitzer, liebäugelt neuerdings mit einem »Boomer-Soli« nach den Vorstellungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sprich einer Extraabgabe für angeblich wohlhabende Senioren. Diese hätten seit den 1970er Jahren »zu wenige Kinder bekommen, die für ihre eigenen Renten hätten aufkommen können«, beklagte sie im Gespräch mit Focus Money. Ergo müssten die Bürger länger arbeiten, selbst mehr vorsorgen und der Rentenanstieg begrenzt werden. Für Geringverdiener könne das laut Schnitzer allerdings bedeuten, dass die Rente »irgendwann nicht mehr reicht – dafür bräuchten wir ein Umverteilungselement«.
Mit Blick auf den Arbeitsmarkt wäre das tatsächlich nötig – im Sinne einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung – wogegen die Bundesregierung eine Verlängerung durch Aufweichung des Achtstundentags anpeilt. Angesichts von Rekordinsolvenzen und Massenentlassungen rechnen Experten schon im August damit, dass die Zahl der Erwerbslosen die Schwelle von drei Millionen überschreitet. Faktisch ist das längst geschehen. BA-Angaben zufolge belief sich die sogenannte Unterbeschäftigung im Juli auf rund 3,6 Millionen. Der Wert umfasst auch Personen, die eine Maßnahme der Arbeitsförderung absolvieren oder kurzfristig erkrankt sind. Immerhin will das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) anhand ihres aktuellen »Arbeitsmarktbarometers« Anzeichen für eine Trendwende im Herbst ausgemacht haben. Das Zollabkommen zwischen den USA und der EU ist in der Prognose jedoch nicht eingepreist.
Die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW Saar) hat die möglichen Folgen für Deutschlands kleinstes Flächenland in einer am Montag vorgelegten Studie abgeschätzt. Demnach sind dort bis zu 17.000 Jobs mittel- bis langfristig gefährdet.
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