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Aus: Ausgabe vom 01.08.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
US-Zollkrieg

Frist des Paten läuft ab

Ab diesem Freitag drohen all jenen horrende Zölle, die sich nicht der mafiösen Erpressermethoden des US-Präsidenten unterworfen haben
Von Jörg Kronauer
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Indischen Bauern drohen noch prekärere Zeiten: US-Farmer sollen den Markt aufmischen dürfen (Kolkata, 30.7.2025)

Der Tag der Zölle: Dazu hat US-Präsident Donald Trump den heutigen 1. August erklärt. Es ist der Stichtag, bis zu dem alle Länder neue Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten geschlossen haben müssen, wollen sie exzessive – Trump spricht von »reziproken« – Zölle auf ihre Ausfuhren in die USA vermeiden. Und wie so oft, wenn der Milliardär aus der New Yorker Immobilienmafia zur Tat schreitet: Noch wenige Stunden vor dem Ablauf der Frist, jedenfalls bei jW-Redaktionsschluss, war vieles unklar. Nur mit einigen – besonders wirtschaftsstarken – Staaten und Staatenbünden lagen Deals bereits vor, wenngleich zumeist bloß in mündlich vereinbarter, von Widersprüchen geprägter Form. Freilich zeichnete sich dabei ein Muster ab: Die Trump-Administration verhängt Zölle zwischen 15 und 20 Prozent, verlangt zudem Investitionszusagen und dringt auf das Versprechen, US-Energieträger im großen Stil zu kaufen. Umgekehrt erhalten US-Exporteure meist – Details sind oft noch unklar – weitgehend zollfreien Zugang zu dem Land, mit dem der Deal geschlossen wurde.

Beispiel Ostasien: Trump hat Vereinbarungen mit Japan und mit Südkorea erzielt. Beide sehen allgemeine Zölle in Höhe von 15 Prozent vor, Autos inklusive, Stahl nicht; die Zölle auf Stahl und Aluminium bleiben bei 50 Prozent. Japan musste Investitionen in den USA im Wert von 550 Milliarden US-Dollar zusagen, Südkorea im Wert von 350 Milliarden US-Dollar. Seoul hat zudem versprochen, Energieträger im Wert von 100 Milliarden US-Dollar zu kaufen; Japan soll Milliarden beisteuern, um ein Flüssiggasprojekt in Alaska aufzubauen. Eine Einigung mit China wurde zu Wochenbeginn vertagt; die Frist läuft am 12. August ab. Auch ein Deal mit Kanada lag noch nicht vor; Trump äußerte, Ottawas Ankündigung, im September eventuell Palästina als Staat anzuerkennen, werde Folgen haben.

Härter als die Industriestaaten attackieren die USA Schwellen- und Entwicklungsländer. Das zeigte zuerst der Deal, den Trump mit Vietnam schloss: Er sieht US-Zölle in Höhe von 20 Prozent vor, die auf 40 Prozent erhöht werden können – und zwar bei Produkten, die zu einem signifikanten Teil aus Vorprodukten aus anderen Ländern bestehen; gemeint ist China. Man muss hinzufügen: Vietnam hatte in den Verhandlungen einem Zollsatz von elf Prozent zugestimmt; in Hanoi war man konsterniert, als Trump einfach eine andere Zahl bekanntgab. Indonesien und die Philippinen mussten Zölle in Höhe von 19 Prozent akzeptieren. Das ist vor allem für Vietnam und Indonesien bitter, die – darin China durchaus ähnlich – eine exportgetriebene Entwicklung anstreben und jetzt bei ihrer Ausfuhr zurückgeworfen werden. Es kommt hinzu, dass die US-Industrie dank der zollfreien US-Exporte, die Washington erzwungen hat, zumindest theoretisch die Chance hat, Konkurrenten aus anderen Ländern in Vietnam und Indonesien zu verdrängen. In Jakarta machen sich viele Sorgen, das könne zu neuer Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten und zu gewaltigem Ärger mit anderen Kooperationspartnern führen.

Am härtesten trifft die Trumpsche Politik voraussichtlich die Ärmsten – Lesotho zum Beispiel. Der US-Präsident hat dem Land, von dem er kurz zuvor noch stolz wie der letzte Depp erklärt hatte, er habe noch nie von ihm gehört, Zölle in Höhe von 50 Prozent angedroht. Ein Deal war bei Redaktionsschluss nicht in Sicht. Lesotho war dabei, sich als Produzent billiger Textilien für die USA eine kleine Nische auf den Weltmärkten zu erobern. Am Donnerstag machten Berichte die Runde, eine Fabrik, die bislang Golfshirts mit Trump-Logo hergestellt habe, bereite sich auf ihre Schließung vor.

Bereits zwei Tage vor dem Stichtag verhängte Trump am Mittwoch Zölle auf Einfuhren aus Brasilien, und zwar in Höhe von 50 Prozent. Es ging nicht um ökonomische Gründe: Die USA erzielen einen Überschuss im Handel mit dem südamerikanischen Land; nach Trumps Logik könnte Brasília Zusatzzölle auf Einfuhren aus den USA erheben. Der Anlass für die US-Maßnahme: Trump will damit die Einstellung des Strafverfahrens gegen den »Tropen-Trump« Jair Bolsonaro erpressen, der sich wegen Umsturzversuches und Mordplänen vor Gericht verantworten muss. Ergänzend hat der US-Präsident Zwangsmaßnahmen gegen Alexandre de Moraes verhängt, einen Richter an Brasiliens Oberstem Gerichtshof, der das Strafverfahren leitet. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva schließt jedes Einknicken bislang aus. Damit kämpft er, nebenbei, nicht nur für die Souveränität seines eigenen Landes: Wer sagt, dass Trump, sollte er im Falle Bolsonaro durchkommen, nicht demnächst die Aufnahme der AfD oder des Rassemblement National (RN) in die Regierungen in Berlin und in Paris mit 50-Prozent-Zöllen auf Importe aus der EU zu erpressen sucht?

Politische Motive lagen auch Trumps Ankündigung zugrunde, Zölle in Höhe von 25 Prozent sowie eine nicht näher definierte »Strafzahlung« auf Einfuhren aus Indien zu verhängen. Zum einen insistiert der US-Präsident darauf, Indien müsse seinen Agrarmarkt für die US-Farmer öffnen; das wäre ein sicherer Todesstoß für zahllose indische Kleinbauern. Zum anderen verlangt Trump – darin mit der EU einig –, Indien müsse seine Erdöleinfuhren aus Russland stoppen. Indiens Botschafter in Großbritannien, Vikram Doraiswami, wies am Donnerstag darauf hin, sein Land habe sich ab dem Frühjahr 2022 neue Öllieferanten suchen müssen, da der Westen – Öl aus Russland nun verschmähend – es bei seinen bisherigen Lieferländern ausgestochen habe. »Sollen wir unsere Wirtschaft ausschalten?« fragte Doraiswami. Indien war eines der wenigen Länder weltweit, in denen Trump während seiner ersten Amtszeit sehr populär war. Das könnte sich jetzt ziemlich rasch ändern. Zudem ist die Zolldrohung ein herber Schlag für die Strategie der indischen Bourgeoisie, sich mit den USA gegen China zu verbünden.

Wie geht’s weiter? Kurzfristig scheint es Trump zu gelingen, mit Mafiamethoden fast die ganze Welt zugunsten der US-Staatskasse zu plündern. Mittel- und langfristig ist allerdings der ganzen Welt klar, dass sich ausplündern lassen muss, wer mit den USA kooperieren will. Der 1. August 2025 könnte sich als der Tag erweisen, an dem eine breite Absetzbewegung von den Vereinigten Staaten begonnen hat. Das aber wird, wie so vieles, erst die Zukunft zeigen.

Hintergrund: Zeche zahlen US-Bürger

US-Präsident Donald Trump setzt – neben anderen Gründen – auch deshalb auf hohe Zölle, weil er damit die zunehmend verschuldete US-Staatskasse ein wenig füllen kann. Wieviel sie genau einbringen werden, ist unklar; für die vergangenen beiden Monate kursieren Schätzungen von je rund 20 Milliarden US-Dollar. Reuters meldete kürzlich, zuletzt habe die Einkommenssteuer Washington rund 3,65 Billionen US-Dollar eingebracht. Das relativiert die Hoffnungen, die Trump auf die Zölle setzen kann, ein wenig. Vielleicht reichen sie aus, die Lücken halbwegs zu füllen, die die »One Big Beautiful Bill« in den Haushalt reißt, indem sie den Superreichen einmal mehr erhebliche Zusatzprofite zuschiebt. Ein Allheilmittel für die ungehemmt steigenden US-Staatsschulden sind die Zölle nicht.

Viel diskutiert wird in den Vereinigten Staaten, wer für die krassen Zölle denn eigentlich die Zeche zahlt. Klar ist: Ausländische Unternehmen sind es nur zum geringen Teil. Goldman Sachs berechnete Anfang Juli einen Anteil von 15 Prozent; das Wall Street Journal zitierte vergangene Woche Schätzungen, denen zufolge chinesische Firmen unter Umständen bis zu 20 Prozent der Zollzahlungen übernommen haben könnten. Der gewaltige Rest fällt, da sind sich alle einig, in den USA an. Zwar versuchen US-Unternehmen demnach noch, nur einen möglichst geringen Teil der Zollzahlungen an die Kunden weiterzugeben. Dazu zählen auch Klein- und Kleinstunternehmen, die deshalb mittlerweile am Rande des Ruins stehen.

Allerdings lässt sich nicht mehr alles auffangen. Laut Goldman Sachs zahlen schon 70 Prozent der Zölle die Konsumenten. Den Rest, 15 Prozent (Goldman Sachs) oder mehr (andere Schätzungen), berappen US-Unternehmen. Nike etwa rechnet zollbedingt mit einem Einbruch von einer Milliarde US-Dollar beim Jahresgewinn. General Motors gibt an, allein im zweiten Quartal eine Milliarde US-Dollar zusätzlich für Zölle ausgegeben zu haben. Nebenbei: Die steigenden Importpreise senken die globale Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie. (jk)

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