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Aus: Ausgabe vom 31.07.2025, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

London macht sich seine Terroristen selbst

Großbritannien: Verbot von »Palestine Action« trotz Bedenken durchgesetzt. Nachspiel vor Gericht
Von Jakob Reimann
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Triumph gegen die Regierung: »Palestine Action« erhält das Recht, gegen das Verbot zu klagen (London, 30.7.2025)

Anfang Juli hat die britische Regierung die propalästinensische Aktionsgruppe »Palestine Action« (PA) auf die Terrorliste gesetzt. PA nimmt in ausschließlich gewaltfreien Aktionen die britische Militärmaschinerie ins Visier, der sie Komplizenschaft an Israels Verbrechen der »Apartheid« und des »Völkermords« an der palästinensischen Bevölkerung vorwirft. Nun belegen Geheimdokumente der britischen Regierung und des Inlandsgeheimdiensts MI5, dass es im Vorfeld deutliche Kritik an dem »neuartigen und beispiellosen« Verbot gab. Schließlich »gab es keinen bekannten Präzedenzfall, in dem eine Organisation verboten wurde, hauptsächlich wegen der Ausführung oder Androhung von Handlungen, die erhebliche Sachschäden verursachen«, hält ein Dokument eines Ausschusses zur Überprüfung von Organisationsverboten fest, der dem Innenministerium untergeordnet ist. Auch eine beim MI5 angesiedelte Analystengruppe kam zu dem Schluss, dass »die meisten direkten Aktionen von ›Palestine Action‹ nicht als Terrorismus eingestuft werden können«, heißt es auf der Investigativplattform Declassified UK, die vergangene Woche exklusiv über die Dokumente berichtete. Trotz dieser Einwände hätten der Prüfausschuss und auch die MI5-Analysten bereits im März Innenministerin Yvette Cooper darüber informiert, dass der Schwellenwert für ein Verbot von »Palestine Action« aufgrund von drei von insgesamt 385 registrierten Vorfällen erreicht worden sei.

Anfang Juli wurden unter dem »Terrorism Act 2000« nicht allein die Mitgliedschaft bei »Palestine Action« unter Strafe gestellt, sondern auch Spenden und Sympathiebekundungen sowie das Tragen von PA-Symbolen. Die Strafen reichen von Geldbußen bis zu 14 Jahren Haft. Es ist tatsächlich das erste Mal in der britischen Geschichte, dass eine gewaltfreie Aktionsgruppe als terroristische Organisation eingestuft wird. PA steht damit nun auf derselben Liste wie Hamas, der »Islamische Staat« oder die Neonaziterrorgruppe »National Action«. Nur 26 Abgeordnete stimmten gegen das Verbot, das landesweite Proteste und andere Formen des zivilen Ungehorsams auslöste. Mehr als 100 Personen wurden dabei festgenommen, zumeist wegen des Verdachts terroristischer Straftaten.

In direkten Aktionen hat PA mehrfach Fabriken des größten israelischen Waffenherstellers Elbit Systems besetzt, mit Farbe beschmiert oder Scheiben zerstört. Auch die Produktionshallen anderer, zumeist US-amerikanischer und italienischer Firmen wurden angegriffen. Im Juni sind mehrere PA-Aktivisten in die Militärbasis Brize Norton eingedrungen und sprühten rote Farbe in die Triebwerke von zwei Tankflugzeugen der Royal Air Force (RAF). Der Schaden soll sich auf umgerechnet mehr als acht Millionen Euro belaufen. Der größte britische Luftwaffenstützpunkt wird unter anderem für Flüge zur britischen Basis Akrotiri auf Zypern genutzt, von wo aus die RAF Aufklärungsflüge über dem Gazastreifen durchführen soll. »Obwohl Großbritannien die israelische Regierung öffentlich verurteilt, schickt es weiterhin Militärfracht, lässt Spionageflugzeuge über dem Gazastreifen fliegen und betankt US- und israelische Kampfjets«, zitierte BBC aus einem PA-Statement.

Die Aktion in der Brize-Norton-Basis wurde von Innenministerin Cooper lediglich als Vorwand für den Eintrag auf der Terrorliste missbraucht. Die Entscheidung, PA zu listen, stand schon Monate vorher fest. Doch hätte ein Verbot im März, als Israel den Waffenstillstand in Gaza einseitig aufkündigte, das Risiko geborgen, »sowohl im Inland als auch im Ausland von unseren Partnern schlecht aufgenommen zu werden«, zitiert Declassified UK aus einem Brief des Außenministeriums – eben als Voreingenommenheit. Der Vorfall in der Basis »war also der Auslöser, aber nicht die Ursache für den Verbotsbeschluss«, kommentiert Declassified UK. Ministerin Cooper verschob die Listung mehrfach, bis sich mit etwas roter Farbe auf 125 Tonnen schweren Militärflugzeugen die perfekte Gelegenheit bot. Doch das letzte Wort in der Sache ist noch nicht gesprochen: Am Mittwoch urteilte ein Londoner Gericht, dass PA gegen sein Verbot klagen kann.

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