Haiti im Visier von US-Falken
Von Volker Hermsdorf
Das ärmste Land der südlichen Hemisphäre könnte zum Testfeld für die nächste US-Intervention werden. Während die Übergangsregierung Haitis für dieses Jahr Wahlen angekündigt hat, mehren sich die Anzeichen für eine offene militärische Eskalation. Jüngster Hinweis darauf ist ein Brandbrief an Außenminister Marco Rubio und Heimatschutzministerin Kristi Noem, in dem neun US-Senatoren Ende vergangener Woche die Präsenz der berüchtigten Söldnerfirma Blackwater (die jetzt unter dem Namen Academi firmiert) in Haiti kritisierten. Deren mit Kenntnis von US-Regierungsvertretern durchgeführte Einsätze seien ein »enormes Sicherheitsrisiko« und werfen »ernste Fragen über die US-Außenpolitik gegenüber Haiti auf«, heißt es in dem Schreiben. Die linke Wochenzeitung Haïti Liberté warnt bereits vor einer »Invasion im Namen der Stabilität«.
Auslöser ist eine Mitteilung des US-Außenministeriums vom 15. Juli, in der die Reisewarnung für Haiti auf die höchste Gefahrenstufe vier angehoben wurde. Wer trotz »lebensbedrohlicher Risiken« einreise, solle »ein Testament verfassen und eine DNA-Probe hinterlassen – für den Ernstfall«, heißt es auf der Website des State Department. In der Vergangenheit markierte diese Warnstufe oft den Vorlauf zu US-Militärinterventionen – etwa in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien oder Jemen. Erstmals ist in den Verlautbarungen auch von Terrorgefahr die Rede. Im Mai hatte Washington die bewaffnete Gruppierung »Viv Ansanm« bereits als »ausländische Terrororganisation« eingestuft. Für den haitianischen Intellektuellen Kervens Louissaint ist klar: »Haiti wird nicht mehr als Land gesehen, sondern als terroristische Bedrohung – als Risiko, das neutralisiert werden muss.« Der klassische Vorwand für eine »Stabilisierungsoperation« unter humanitärem Deckmantel. Louissaint warnt in Haïti Liberté vor einem baldigen Eingreifen der USA, der Dominikanischen Republik oder eines von Washington finanzierten internationalen Einsatzverbandes. Ein Angriff werde »nicht mit einer Kriegserklärung beginnen, sondern mit einer Drohnenattacke«. Ziel sei: »Kontrolle, Auslöschung und Beiseitigung der haitianischen Frage.«
Zwei Wochen später warfen neun demokratische Senatoren – darunter Edward J. Markey, Elizabeth Warren, Bernie Sanders und Cory Booker – dem US- Außenministerium »widersprüchliche und gefährliche Signale« gegenüber Haiti vor. Ihr zentraler Kritikpunkt: Wenn Haiti sicher genug sei, um ab September rund 500.000 haitianischen Geflüchteten den temporären Schutzstatus in den USA zu entziehen – warum rüsten dann private US-Söldnertruppen für Kampfeinsätze in dem Land auf? Blackwater schaffe aus Florida Kriegsgerät ins Land, heißt es im Brief der Senatoren, koordiniere bewaffnete Drohnenangriffe und bringe 150 US-Söldner in Stellung – angeblich, um gegen die Banden in Port-au-Prince vorzugehen. Im Sommer seien weitere Waffenlieferungen und paramilitärische Einsätze geplant. All dies, so die oppositionellen US-Abgeordneten, unterliege der Genehmigungspflicht durch das Außenministerium. Sollten Exportlizenzen erteilt worden sein, stehe das im Widerspruch zu den Kriterien des von Donald Trump im Februar 2017 erlassenen »National Security Presidential Memorandum 10«. Falls keine Genehmigung vorliege, könnten die Einsätze gegen geltendes US-Recht verstoßen. Kern der Vorwürfe: Entweder bricht Washington bewusst die eigenen Regeln, oder die US-Söldner operieren – mit stillschweigender Duldung der US-Regierung – illegal in Haiti.
Unterdessen zeigen lateinamerikanische Länder verstärkt Präsenz. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro reiste Mitte Juli zum zweiten Mal in diesem Jahr nach Haiti und kündigte die Eröffnung einer Botschaft sowie bilaterale Projekte in den Bereichen Sicherheit, Bildung und Handel an. Gleichzeitig werden haitianische Einsatzkräfte in Mexiko, Brasilien und Martinique trainiert, um der Übermacht der Gangs etwas entgegenzusetzen. Offiziellen Angaben zufolge stehen rund 10.000 Polizisten und etwa 1.300 Soldaten einer geschätzten Zahl von bis zu 200 bewaffneten Gruppen gegenüber – viele davon gut organisiert und mit aus den USA eingeschleusten Waffen bestens ausgerüstet.
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